Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern

Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern

Titel: Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Willers
Vom Netzwerk:
weil der Schlüssel klemmte und sie die Garage nicht aufkriegten. Und dann würde ich unten bleiben und Hilfestellung geben beim Stelzenlaufen. Oder den Sattel vom Fahrrad hochstellen. Oder das Springseil suchen. Doch es kam anders: Ich las die Seite drei! Vom ersten bis zum letzten Satz. Ich erfuhr, dass »Lucky« ein amerikanischer Billigreis ist, der in Haiti die Landwirtschaft ruiniert. Und dass die Leute dort viel Wut im Bauch haben. Und wenig zu essen. Danach räumte ich die Spülmaschine aus und füllte Klarspüler nach. Danach sortierte ich Wäsche, kochte Kaffee und aß elf (!) Waffelröllchen.
    Und danach kriegte ich einen Schreck, erstens: wegen der elf Waffelröllchen. Und zweitens: wegen der Kinder. Waren die nicht schon ziemlich lange weg? Ich guckte aus dem Fenster und scannte den Hof. Kein
Kind zu sehen. Dann inspizierte ich die Wiese hinterm Haus. Da hinten waren sie! Zusammen mit zwei Nachbarskindern. Sie suchten Schnecken. Und es gab keine Anzeichen, dass Jette in der letzten Stunde ein parkendes Auto demoliert hätte oder in ein Wasserloch gefallen wäre. Sollte dieser denkwürdige Mittwochnachmittag der Beginn einer neuen Zeitrechnung sein?

    Als Jochen abends nach Hause kam, war ich sentimental. »Plötzlich sind sie groß«, sagte ich zu meinem Mann. Doch der lachte und meinte: »Groß sind sie noch lange nicht. Bloß ein bisschen selbstständiger!«
    Natürlich hatte Jochen recht. Und natürlich war das mit der Selbstständigkeit auch gar nicht so plötzlich
gekommen. Nein, der freie Mittwochnachmittag hatte sich schon länger angebahnt. Und weil es sein könnte, dass auch Sie sich gerade in einer solch hoffnungsvollen Anbahnungsphase befinden, habe ich hier eine kleine Checkliste zusammengestellt, mit der Sie klären können, wo Sie stehen auf Ihrem Weg in die große Freiheit:

Nennt Ihr Kind die Dinge beim Namen?
    Zu wissen, wer man ist und wo man herkommt, ist ein großer Schritt in Sachen Selbstständigkeitsentwicklung. Meine Kinder gehen diesen Schritt inzwischen mit der Akribie eines Steckbriefs: Neulich war ich mit Jette in der Stadt, neue Kleider kaufen. Wir trafen eine Bekannte. Und nachdem wir uns kurz begrüßt und ein bisschen gesmalltalkt hatten, fragte die Bekannte mit Blick auf mein Kind: »Ja, und wer bist du?« Daraufhin teilte Jette ihr unverzüglich mit: »Ich bin Jette-Marlene Willers!« Es folgten Straße, Hausnummer, Postleitzahl, Bundesland. Am Ende noch die Telefonnummer mit Vorwahl und die Information, dass es sich um einen Anschluss in München handele. »Aha«, sagte die Bekannte sichtlich beeindruckt. »Und weißt du auch deine Blutgruppe?« Jette schüttelte den Kopf und beendete das Gespräch mit dem Hinweis, im Kindergarten sei sie in der grünen Gruppe gewesen. Aber jetzt wolle sie ganz sofort ein Eis!

Sagt Ihr Kind um 18 Uhr 55, dass es jetzt 18 Uhr 55 ist – und dass es deshalb auf keinen Fall aufräumen kann?
    Es gibt viele Möglichkeiten, auf einen Satz wie »Jetzt wird aufgeräumt« zu antworten. Hier eine kleine Auswahl aus dem Repertoire meiner Kinder: Nö! Ja, später! Keine Lust! Haben wir gestern schon! Ist doch gar nicht unordentlich! Das waren wir nicht!
    Ich lasse keine dieser Ausreden gelten. Nur eine einzige kann mich wirklich beeindrucken. Und die heißt: »Mama, es ist fünf vor sieben!« Oder, noch toller: »Mama, es ist 18 Uhr 55.« Um 18 Uhr 55 kommt nämlich das Sandmännchen. Und die Tatsache, dass meine Kinder wissen, dass es 18 Uhr 55 ist, erfüllt mich mit Stolz. Man muss sich mal klarmachen, wie kompliziert die Kulturtechnik ist, die festlegt, dass das Sandmännchen dann kommt, wenn der kleine Zeiger so gut wie auf der Sieben steht. Und der große fünf Striche vor der Zwölf. Und dass man auch eigentlich nicht fünf vor sieben sagt, sondern 18 Uhr 55, weil nämlich, wenn das Sandmännchen kommt, der kleine Zeiger schon zum zweiten Mal an diesem Tag beinahe auf der Sieben steht. Ich habe keine Ahnung, wie sich Kinder das merken. Vor allem dann nicht, wenn sie wie Jette eine Plastikuhr am Handgelenk tragen, die ursprünglich mal mit bunten Liebesperlen gefüllt war. Und aufgemalte Zeiger hat, die immer auf »um zwölf« stehen.

    Aber egal: Ich finde Kinder, die wissen, wann es 18 Uhr 55 ist, sind schon sehr groß. Sie dürfen ganz allein Sandmännchen gucken. Und hinterher selbstständig aufräumen!

Hat Ihr Kind ein entspanntes Verhältnis zum Medium Wasser?
    Mit entspannt meine ich: Es verzichtet in der Badewanne auf

Weitere Kostenlose Bücher