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Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern

Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern

Titel: Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Willers
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Obwohl wir uns den Chauffierdienst bereits mit einer anderen Familie teilten, war ich an diesem Nachmittag geschlagene zwei Stunden damit beschäftigt, Kinder zu bringen, abzuholen, im Wochenendstau zu stehen und dazwischen kein Gläschen Sekt zu trinken – denn Alkohol am Steuer geht bei Chauffeusen gar nicht.
    Als ich wieder mit allen Kindern, Kostümen und Mitgebseltüten zu Hause war, beschloss ich: So geht das nicht weiter! Und verkündete: »Ab heute ist Streik, Chauffeusenstreik. In Zukunft gibt es nur noch Belustigungen, Kieferorthopäden und Freunde, die die Kinder allein erreichen können.« Und für die Ausnahmen – zum Beispiel Kindergeburtstage in abgelegenen Provinzen
– gibt es ja noch den Mann der Chauffeuse. Er heißt Jochen. Und fährt gerne Auto.
    Meine Kinder guckten etwas irritiert. »Und die Klavierstunde?« , fragte Clara. »Fahrrad«, sagte ich. »Und die Schule im Winter?«, fragte Jette. »Laufen oder Roller – wie im Sommer«, sagte ich. »Und wenn ich Emmi in Thalkirchen besuchen will?«, fragte Clara. »U-Bahn«, sagte ich. »Da muss man umsteigen«, meinte Clara. »Üben wir«, sagte ich. Denn ja, das gehört zu einer guten Streikvorbereitung: Will man den Streik durchhalten, muss man den Bestreikten Fahrpläne in die Hand drücken und bei diversen Probefahrten erklären, wie das geht mit der richtigen Richtung, dem Umsteigen – und den Kontrolletti: Die sind hier in München so streng, dass sie bei nicht vorhandenen Fahrscheinen wahrscheinlich auch dann kein Auge zudrücken würden, wenn man ihnen anböte, eine ganze Woche ihre Teller zu spülen.
    Man muss den Bestreikten auch klarmachen, dass manchmal komische Leute in Bussen und Bahnen sitzen – und was man tut, wenn die einem auf die Pelle rücken. »Wegsetzen«, meinte Clara. »Ja«, sagte ich, »oder Leute mit Kind ansprechen: Der da hinten will was von mir.« »Oder treten«, sagte Jette. »Nein, besser schreien«, sagte Clara, die gerade Polizei-Training hatte. »Ja, und zwar ganz laut«, ergänzte ich. »Ich will auch alleine U-Bahn fahren«, sagte Jette, die gut treten und schreien kann
    »Kommt nicht infrage«, sagte ich. »Du fängst mit der Tram an, zwei Stationen. Ich fahr mit dem Fahrrad nebenher,
damit du richtig aussteigst. Und wehe, du gehst bei Rot über die Straße.« »Rotgeher, Totgeher, Grüngänger leben länger«, sagte Jette.
    Und eine Kollegin, die bereits Teenager- Kinder hat, warnte mich: »Wenn du deinen Kindern zu Übungszwecken mit Tempo 20 hinterherfährst, musst du aufpassen.« Sie selbst sei bei einer nächtlichen Kontrollfahrt mal von der Polizei angehalten worden: »Warum verfolgen Sie das Mädchen?«, hatten die Beamten gefragt. »Das ist meine Tochter«, hatte die Kollegin geantwortet, »die kommt von einer Party, ich wollte sie mit dem Auto aufpicken.« »Können Sie sich ausweisen?« Konnte sie leider nicht – denn sie hatte nur schnell eine Jacke geschnappt und den Geldbeutel vergessen. Und die Teenager-Tochter? War so sauer auf ihre Gluckenmutter, dass sie einfach mit den Worten abrauschte: »Die – kenn ich nicht!«
    Ich habe meinen Streik trotzdem begonnen – und auch wenn ich noch nicht von der Polizei verfolgt wurde, ein paar kleinere Pannen gab es natürlich schon: Einmal fuhr Clara mit der blauen Linie statt mit der roten und kam nicht pünktlich heim. Doch gerade, als ich ein bisschen hysterisch werden wollte, klingelte das Telefon. Clara heulte ins Handy: »Ich bin irgendwo, wo ich nicht weiß, wo ich bin.« »Okay«, sagte ich, »was steht denn auf dem U-Bahn-Schild?« »Da steht ›Großhadern‹«, heulte Clara. »Oh«, sagte ich, haderte nicht groß mit Großhadern, sondern mutierte umgehend zur Streikbrecherin: »Bleib, wo du bist, ich bin in einer halben
Stunde da.« Und letzte Woche berichtete Jette von einem Zwischenfall in der Tram: »Heute hat sich ein komischer Mann neben mich gesetzt. Ich hab mich gleich weggesetzt.« »Aha«, sagte ich. »Und warum war der komisch?« »Er hat ›Guten Morgen‹ gesagt«, sagte Jette.
    Trotzdem bleibe ich dabei: So ein Chauffeusenstreik ist eine gute Sache:
    Die Kinder werden selbstständiger und mobiler. Und die Mütter? Haben plötzlich Zeit: Sie schreiben Streikberichte für die breite Öffentlichkeit. Oder tun was für sich. Ich zum Beispiel gehe jetzt wieder öfter schwimmen. Ob ich hinterher unter der Hallenbadlaterne stehe und warte, dass einer kommt? Nein, nicht nötig: Erstens ist das Bad nur 500 Meter entfernt von unserer

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