Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern
dass heute »Tatort« kommt, und der gehört für mich zum Sonntagabend. Meistens bügle ich dabei. Na gut, aufs Bügeln könnte ich verzichten, aber …
Gerade als ich dabei bin, schlechte Laune zu kriegen, klingelt das Telefon: die Nachbarn. Ob wir mitgrillen wollen hinten auf der Wiese?
17 Uhr 30
Ich beiße in ein gegrilltes Stück Paprika: Ein warmes Abendessen ohne Strom – geht doch, denke ich und bin wieder voll motiviert. Nächsten Sonntag könnten wir doch gleich das nächste Experiment machen: »Ein Tag
ohne Müll. Oder ein Tag ohne Geld. Ihr dürft euch was wünschen«, sage ich zu den Kindern. »Ein Tag ohne Aufräumen«, sagt Jette.
22 Uhr
Jochen und ich sitzen am offenen Fenster im Kerzenschein. Ohne Strom ist das Leben umständlicher, aber auch romantischer, denke ich. Und gab es da nicht diese Statistik, die neun Monate nach Stromausfällen Geburtenaufschwünge verzeichnete? Liebe Familienministerin, das wäre doch eine Anregung für die nächste Bundestagssitzung: ein Stromabstellungsgesetz – jeden Sonntagabend für zwei Stunden. Dann gäb’s mehr Kinder. Und die grünen Kollegen hätten Sie auch gleich auf ihrer Seite. Was ich für diese geniale Idee will? Ach, bitte, würden Sie mir einen schönen großen Kaffee machen?!
Der Streik der Chauffeuse
Schluss mit den Taxidiensten: Seit zwei Monaten kommen meine Kinder ganz allein von A nach B!
Als ich zehn war, hatte ich eine ziemlich große Leidenschaft: schwimmen! Ich trainierte dreimal in der Woche. Danach fuhr ich allein mit dem Rad vier Kilometer nach Hause durch die Felder der niedersächsischen Provinz. Als ich zehneinhalb war, besorgte ich mir ein Rad mit Stange, denn ich wusste: Wenn Mädchen allein durch die Felder radeln, ist es besser, sie sehen aus wie Jungs.
Im Winter allerdings hatte ich ein Problem: Es gab keinen Bus und keine U-Bahn. Meine Eltern wollten aber nicht, dass ich im Dunkeln mit halb nassen Haaren Rad fuhr. Sie sagten: »Wir bringen dich und holen dich ab. Um sechs.« Im Winter hatte ich deshalb zwei Hobbys: schwimmen und warten. In dieser Reihenfolge: Erst ging ich schwimmen. Dann stand ich unter der Laterne am Hallenbad und wartete. Und manchmal wartete
ich lange. Meine Eltern hatten nämlich zu tun – und mich in der Zwischenzeit vergessen.
Taxidienste gehörten damals eben noch nicht zur obersten Elternpflicht. Heute ist das anders. Heute gehen die Kinder schon mit vier zum Schwimmkurs, mit fünf zur Ergotherapie, mit sechs zum Hip-Hop und mit acht zur Nachhilfe. Jedes fünfte Kind wird mit dem Auto zur Schule gebracht, las ich neulich. Und dann sind da ja auch noch die ganzen Termine beim Kinderarzt, beim Kieferorthopäden, bei Martha, Leonie und Paula zum Spielen. Dazu braucht man Chauffeure. Oder besser: Chauffeusen. Denn meistens sind die Von-A-nach-B-Bringer und Von-B-Zurückholer Mütter – wie ich.
Das Berufsprofil der Chauffeuse sieht ungefähr so aus: Wenn sie kleine Kinder hat, die sich noch nicht ohne mütterliches Beisein fördern, belustigen oder therapieren lassen, sollte die Chauffeuse geduldig und gesellig sein. Sie sollte es mögen, in Wartezimmern alte Promizeitschriften zu lesen und in zugigen Voltigierhallen schlechten Small Talk mit anderen Chauffeusen zu machen. Wenn die Kinder nicht mehr so klein sind, sollte die qualifizierte Chauffeuse kräftige Waden haben, damit sie zwei Kunden im Radanhänger ziehen kann. Bevorzugt sie das Auto, muss sie unbedingt multitasken können: zum Beispiel spontan in zweiter Reihe parken, die Taste mit dem Warnblinklicht drücken und gleichzeitig klare Ansagen machen: »Ich lass dich schon mal raus. Aber Vorsicht beim Aussteigen!«
Erwartet werden außerdem Kreativität und Flexibilität. Denn die Chauffeuse muss jedes Mal neu entscheiden, was sie mit der angenagten Stunde macht, die zwischen Bringen und Abholen liegt: Reicht es gerade für einen Espresso im Stehcafé? Oder traut sie sich, im Parkverbot zu parken, und schafft den Wochenendeinkauf? Letzteres artete bei mir regelmäßig in Stress aus: Denn garantiert hatte der Typ vor mir in der Supermarktschlange seine Geheimzahl vergessen, die Politesse lief draußen vorbei und guckte schon so, und der Schwimmkurs war seit fünf Minuten zu Ende …
Ich habe das jahrelang mitgemacht – bis zu jenem Samstagnachmittag im Mai: An diesem Tag waren beide Kinder zum Kindergeburtstag eingeladen: Jette auf einen Indoorspielplatz im Münchner Westen. Clara zu einer Verkleidungsparty im Münchner Norden.
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