Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern
vorstellen konnte, dass meine Mutter im Seniorencomputerkurs bereits solche Verschleierungstaktiken gelernt hat, wurde ich misstrauisch. Und so führten Clara und ich das Gespräch, das wir schon längst hätten führen müssen: Gebe im Netz nie deine Adresse oder die U-Bahnstation raus, an der du morgens immer stehst. Und suche dir fürs Netz einen Codenamen. Es muss ja nicht gleich Kunigund sein!
Nervenzellen-Übervernetzung … ist besser als Nintendo-Enuresis
Es soll sie ja tatsächlich geben: Menschen, die so lang auf der Spielkonsole Außerirdische abschießen, dass sie ein steifes Handgelenk kriegen. Oder Kinder, die so hypnotisiert Nintendo spielen, dass sie in die Hose machen. Ich halte das für glaubhaft: Wenn Jette sich durch Claras
Tierpension klickt, schafft sie locker 80 Anschläge in der Minute – aber nach 2000 Anschlägen starrt sie so krank auf das Display, dass ich ihr das Ding wegnehme. Oft habe ich mich schon gefragt, warum sich die Mathebuchmacher nicht mit den Nintendospieleausdenkern zusammensetzen und für die Schule Material mit ähnlichem Suchtpotenzial entwickeln. Ich meine, gibt es nicht ein Spiel, dass »Mein fabelhafter Zahlenstrahl« heißt, oder »Mein kunterbunter Plusturm«?
Jette würde dann sicher wie verrückt im Hunderterraum rechnen. Und ich würde seltsame Sätze sagen wie: »Achtung, es werden höchstens 30 Minuten Mathe geübt. Sonst kriegst du noch Nervenzellen-Übervernetzung.
»HDGDL …« ist eine Liebeserklärung!
Neuerdings lerne ich Handysprech. HDGDL heißt: Hab dich ganz doll lieb. Und BSTIMST heißt: Bus steht im Stau. Ja, das weiß ich auch erst, seit Clara zum zehnten Geburtstag ein Handy bekam. Inzwischen schicke ich, zack, zack, Kürzel zurück: AKLA EW (alles klar, Essen wartet) oder WWE (Wie war Englisch?). Dazu gibt’s ein hübsches Icon: ☺. Ich habe nämlich gelesen, dass solche Symbole besonders komplexe Hirnaktivitäten hervorrufen. Und das kann nie schaden.
Ja, es ist nicht unanstrengend, wenn man sich permanent multimedial weiterbilden muss, weil man
halbwüchsige Kinder hat. Ab und zu muss ich deshalb in die medienfreie Zone: Ich lege mich in die Wanne und warte, dass mein Kopf flimmerfrei und meine Füße wieder warm werden. Dabei frage ich mich, was wohl Johann Gottfried Hoche über das moderne Medienzeitalter denken würde. Frei nach dem Motto »Lieber Gelbfieber als PC-Pest«, würde er heute wohl sagen: Kinder, lest doch mal ein gutes Buch!
Stromfreie Bude
Alle reden von der großen Energiewende – ich probiere es mal mit der kleinen…
Es waren elf! Ich weiß es ganz genau, denn ich habe sie gezählt, die Birnen, die bei uns brannten, an einem ganz normalen Dienstagabend: in der Küche, im Wohnzimmer, im begehbaren Kleiderschrank, bei Jette überm Hochbett, bei Jette unterm Hochbett … »Licht aus«, rief ich, »es ist Sommer, und das ist Energieverschwendung. Kein Wunder, dass wir jeden Monat 55 Euro für Strom bezahlen.« »Mensch, Mama«, maulten meine Mädchen, »du bist so ungemütlich. Und alles bloß wegen Japan.« »Nein«, rief ich zurück. »Ich war hier schon der Lichtausmacher, bevor Fukushima explodierte.« Und dann wollte ich noch sagen, dass der Strom ja nicht einfach aus der Steckdose komme, sondern aufwendig erzeugt werden müsse, zum Beispiel in AKWs. Und dass das unseren Planeten allmählich überfordere. Und dass wir alle umdenken müssten,
wenn wir noch ein bisschen was haben wollten von dieser schönen Welt.
Mir fielen die Schulbrote ein, die oft in den Müll wanderten, weil die Kinder sie im Ranzen vergaßen. Oder die H&M-Fummel, die unsere Mädels für kleines Geld kauften. Um all das herzustellen, braucht man Energie, wollte ich sagen. Und wusste gleichzeitig: Derartige Standpauken bringen nix – außer Widerworten: »Du hast auch 20 Paar Schuhe«, würden meine Kinder kontern, »und für die Nähmaschinen, die das Leder nähen, braucht man bestimmt jede Menge Strom …« Auch wenn mittelpreisige Plateaupumps oft geklebt sind: Sie hätten im Prinzip recht. Und deshalb ließ ich meinen mental erhobenen Zeigefinger wieder sinken und hatte eine andere Idee: Zum nächsten Sonntag wünschte ich mir eine stromfreie Bude. Und ich kriegte sie! Hier unser Energiebericht:
8 Uhr 30
Ich bin wach, die Sonne bescheint unseren Stromkasten. Ich drehe alle Sicherungen raus. So! Jetzt erst mal einen Kaffee … »Kaffee?«, fragt Jochen und grinst. Die Kinder grinsen auch. Sie wissen, dass ich ein Koffeinjunkie bin.
Weitere Kostenlose Bücher