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Ich bin ein Mörder

Ich bin ein Mörder

Titel: Ich bin ein Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Pons
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trotzdem keine Angst zu haben. Bungeespringen ohne Seil und ein endloser freier Fall.«
    »Fliegen?«
    »Ja, fliegen. Das ist es.« Mischa stützte das Kinn in die Handflächen. Fliegen. Verdammt lange her. Nur über der Spüle brannte eine Lampe, im Rest des Zimmers war es stockfinster.
    »Du bist echt cool, Mischa.«
    »Ich gebe mir Mühe.«
    Eine Weile herrschte Stille.
    »Was ist aus ihr geworden, Mischa?«
    Langsam rollte er sich auf den Rücken und starrte die unscharfe Schwärze der Decke an.
    »Wir sind Freunde.«
    »Echt? So wie du und Alexandra?«
    Die Decke kam näher und Mischa schloss die Augen.
    »Ja, Mann. Ganz genau so.«

Dienstag, 23. Oktober
     
    Mit zügigen Bewegungen markierte Alexandra die Position der Fahrzeuge auf der Straße. Die Situation war eindeutig. Ebenso die Schuldfrage. Zum Glück kein Personenschaden. Noch nicht. Die Geschäftsfrau, die nicht einmal jetzt bereit war, ihr Handy aus der Hand zu legen, schien durchaus geneigt, den älteren Herrn, der ihren Mercedes gerammt hatte, mit ihren wohl manikürten Nägeln aufzuschlitzen. Kritisch begutachtete Alexandra die Kreidespur. Lange würde die nicht halten. Zu viel Verkehr. Regen war keiner in Sicht, aber der Frühnebel hing wie eine dichte Wolke über ihnen. Die Feuchtigkeit half zusätzlich, die Kreide schnell wieder von der Fahrbahn verschwinden zu lassen.
    Sie hauchte warmen Atem in ihre klammen Hände. Der ganze Auftrieb war völlig unnötig. Aber die beiden Fahrer drohten weiterhin, einander mitten im morgendlichen Berufsverkehr an die Gurgel zu gehen. Nicht zuletzt, weil die Dame sich genötigt sah, unflätige Schimpfworte zu benutzen. Eindeutig ein Fall für Mischa. Gemüter beruhigen.
    Alexandra machte derweil lieber noch ein paar Fotos und lotste den stockenden Restverkehr an der Unfallstelle vorbei. Genau das Richtige, um den Dienst zu beginnen – ausrücken, noch ehe der erste Kaffee des Tages getrunken und ein paar persönliche Worte gewechselt waren. Wie sie so was hasste. Und das nach der unglücklichen Geschichte mit der Vernissage.
    »Warum bist du am Sonntag so schnell abgehauen?«, flüsterte sie Mischa im Vorübergehen zu, als sie das Maßband und die Kamera im Wagen verstaute.
    »Die Stunde war um. Hab ich doch gesagt.«
    Mischa notierte weiter Aussagen und Personalien, belehrte die uneinsichtigen Kontrahenten und überredete sie schließlich, das Feld zu räumen, um nicht weitere Auffahrunfälle zu provozieren.
    »Bist du sauer auf mich?«, versuchte Alexandra es wieder, als alles erledigt war und sie sich wieder einsatzbereit gemeldet hatten. »Weil ich dich überredet habe zu kommen?«
    »Tatbestand der Nötigung trifft es besser. Trotzdem nein. Ich hätte nicht kommen müssen. Und jetzt kann ich mir ein besseres Bild machen.«
    »Und? Wie sieht es aus?«
    »Das gehört nicht hierher, wir sind im Dienst.«
    Alexandra rollte die Augen, legte die Mütze auf die Knie und durchsuchte das Handschuhfach nach etwas Essbarem. Ein vergessener Schokoriegel, oder wenigstens ein Kaugummi?
    »Aber wir arbeiten gerade nicht. Also sag schon?«
    »Es hat sich nichts geändert.«
    »Aber …«
    »Hör zu. Letzte Worte zu dem Thema. Es macht nichts, wenn ich ihn nicht mag. Ich glaube nicht, dass er das Bedürfnis verspürt, noch mal mit mir auszugehen. Das überlasse ich euch in Zukunft wieder alleine.«
    »Stört es dich nicht, wenn ich …«
    »Letzte Worte bedeuten: kein weiterer Kommentar. Basta!«
    Es brannte ihr auf der Zunge, weiterzufragen. Zu bohren. Sie zog die Oberlippe zwischen die Zähne. Sie brauchte seine Zustimmung nicht. Aber sie wollte sie.
    Der nächste Funkruf aus der Zentrale unterbrach ihre Überlegungen. Ein unruhiger Vormittag hetzte sie von Einsatz zu Einsatz. Keine Zeit zum Grübeln. Mischa stand offenbar meilenweit über diesen Dingen. Er erwähnte weder Tobias noch die Vernissage ein weiteres Mal.
    * * *
     
    Er überquerte die Brücke langsam, mit gesenktem Kopf. Doch seinen Augen unter der weit heruntergezogenen Kapuze entging kein Detail. Die asiatische Reisegruppe, die beim Fotografieren fast die ganze Breite der Brücke beanspruchte, der Akkordeonspieler, der mit seinem Hocker auf der Seite des Museumsufers Platz nahm. Das Paar, das versuchte, den eisernen Schriftzug zu entziffern, der über seinen Köpfen prangte. Der Mann, der sich lässig auf das Geländer setzte. Die Teenager, die von der Shoppingtour kamen und nun kichernd den Inhalt ihrer Tüten begutachteten. Die Mutter mit dem

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