Ich bin ein Mörder
er die Fäuste.
* * *
»Ich kam aus den Nebeln des ersten Lichts. Die aufsteigende Sonne im Rücken. Ich bin der Anfang. Der Anfang dessen, was ihr das Ende nennt. Und die leuchtend rote Glut des Himmels ist mein steter Begleiter. Die Farbe des Blutes. Die Farbe des Lebens und die Farbe dessen, der gekommen ist, das Leben zu nehmen. Ich richte meinen Blick in die Wolken und ich lache und schreie zu dem, der da nicht ist, weil dort nichts ist, außer Unendlichkeit und Leere. Ich rufe: Sieh mein Werk! Sieh, was ich für dich und alle bereitet habe! Mein Werk ist schlecht und es ist einzig und es ist wahr. Denn du, der du nicht bist im Himmel, kannst mich nicht aufhalten. Mein Wille geschehe, denn ich bin hier und du bist es nicht. Und bist du es doch, so schicke ein Erdbeben, welches hier und jetzt die Erde zerreißt zu meinen Füßen, auf das ich verschlungen werde von ihr und hinabfahre in die ewige Verdammnis. Doch die Wolken bleiben stumm und die Vögel singen. Kein Blitz wirft mich zu Boden und keine Heerscharen erscheinen, mich zu richten. Also steht es geschrieben, in meinem Buch der neuen Zeitrechnung. Die Morgenröte ergießt sich über die Welt und tränkt sie mit eurem Blut, bis der Engel des Lichts den letzten Funken am Abend verlöschen lässt und ewige Finsternis die Gläubigen umfängt, die jammernd und winselnd jede Hoffnung fahren lassen. Denn ich bin der Herr über Leben und Tod, der Anfang und das Ende. Und nichts kommt nach mir.«
Montag, 22. Oktober
Tobias Stockmann wartete vor dem neuen Polizeipräsidium in der Adickesallee auf Alexandra. Sie musste das Gebäude durch den Hauptausgang verlassen, um zur U-Bahn zu gelangen. Folglich konnten sie einander gar nicht verfehlen – auch, wenn Alexandra noch nichts davon wusste, dass sie den Abend gemeinsam verbringen würden. Es kam ihm entgegen, dass sie heute nicht im Revier gearbeitet hatte. So blieb ihm eine Begegnung mit ihrem Kollegen Michalczyk erspart. Zugegeben, gestern hatte ihn der Mann direkt amüsiert, mit seinem rechtschaffenen Gehabe und seinem unterdrückten Zorn. Aber er stellte auch ein Hindernis dar, zwischen ihm und Alexandra. Und das war indiskutabel. Dass statt Alexandra in diesem Augenblick Conrad Neumaier durch eine der großen Glastüren kam, entlockte ihm ein entzücktes Lächeln.
»Herr Kommissar.« Tobias verschränkte die Arme vor der Brust, statt Neumaier die Hand zu reichen. »Welche Überraschung, Sie zu sehen. Ich dachte, Sie wären längst nicht mehr im Dienst. Sie erinnern sich doch noch an mich?«
Neumaier zeigte wenig Begeisterung. »Wie könnte ich Sie vergessen, Herr Stockmann. Ihr Bild ist ja ständig in der Presse.«
»Nur kein Neid!« Tobias musterte ihn von oben bis unten. »Sie haben sich kein bisschen verändert«, frotzelte er.
Sofort zog Neumaier den Bauch ein und reckte den Hals. Der zerknautschte braune Mantel spannte.
»Immer noch die gleichen stahlblauen Augen, die gleiche Standhaftigkeit und immer noch sicher in Ihrem Urteil, was wichtig ist und was unwichtig. Habe ich Recht?« Tobias schnalzte mit der Zunge.
»Darauf können Sie sich verlassen!« Neumaiers Antwort klang fast wie ein Knurren und Tobias schüttelte mitleidig den Kopf.
»Auf Ihr Urteil verlasse ich mich sicher nicht.« Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Wissen Sie, was schade ist? Es ist so leicht, die Polizei auszuspielen, dass es eigentlich keinen wirklichen Spaß mehr macht. Sie sind so blind und fühlen sich so sicher. Aber ich garantiere Ihnen, das ist ein Fehler. Sie sollten sich genau an das erinnern, was ich Ihnen sagte. Es hat noch immer Gültigkeit.«
Alexandra freute sie sich auf ihren Feierabend. Obwohl sie die Zusatzschichten im Präsidium mochte. Ein anderes Umfeld, neue Einblicke, ein paar Stunden Abwechslung. Aber jetzt war Schluss und sie konnte noch für eine kleine Weile den Rest Sonne genießen, der den Himmel blau färbte. Ab morgen war Schmuddelwetter angesagt. Der Herbst ließ sich nicht mehr aufhalten.
Unmittelbar hinter der Tür traf sie auf Tobias und Conrad, die sich miteinander unterhielten. Irritiert schaute sie von einem zum anderen. Conrad wirkte verkrampft, während Tobias’ lässige, fast schon nachlässige Körperhaltung ein Höchstmaß an Entspannung anzeigt.
»Ich muss los, Alexandra.« Neumaier verabschiedete sich hastig, noch ehe er sie richtig begrüßt hatte. Ganz selbstverständlich legte Tobias seinen Arm um ihre Schulter.
»Es war mir ein Vergnügen, Sie
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