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Ich bin ein Mörder

Ich bin ein Mörder

Titel: Ich bin ein Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Pons
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Aufklärungsrate. Er hatte Conrad Neumaiers untrüglichem Instinkt stets vertraut, ohne diese Gabe je zu hinterfragen. Aber heute war sein Chef eigentümlich schweigsam. Es schien, als zweifle er selbst an seiner Intuition. Die Krawatte hing schief, er trank Kaffee und häufte sich Löffel um Löffel Zucker hinein, was er wegen seiner Herzbeschwerden unbedingt bleiben lassen sollte. Neumaier schwitzte stark, wobei er merkwürdigerweise nie unangenehm roch.
    »Und es ist sicher, dass es kein Selbstmord gewesen ist – absolut und unwiderlegbar?«, knurrte er plötzlich in die Stille. Seine Stirn glänzte feucht und die dichte Haartolle klebte daran fest.
    »Soweit man das jetzt schon sagen kann. Martin Hirschberger war verabredet und hat auf seine Freundin gewartet. Die Freundin heißt … Sekunde.« Ein weiterer Klick mit der Maus. »Sonja Born. Dabei hat er gegessen. Die Tüte, die neben ihm stand, enthielt noch einen halb vollen Colabecher, eine Portion Pommes und einen Hamburger. Er hatte gerade erst angefangen. Keiner setzt sich auf ein Brückengeländer und kaut einen Hamburger, um mit vollem Mund plötzlich in den Tod zu springen.«
    Zum Glück war Kriminalhauptkommissarin Marion Hermann vor Ort gewesen, als das Mädchen eintraf. Ihr Feingefühl in solchen Situationen reichte weiter als sein eigenes.
    Conrad Neumaier persönlich wollte gleich das Gespräch mit Hirschbergers Eltern übernehmen. Bisher hatte man sie noch nicht erreicht. Unangenehm genug, sie über den Tod ihres Sohnes informieren zu müssen. Keine nennenswerten Fakten zu besitzen, machte es nicht leichter. Wobei weder das Wort »wollen« noch »unangenehm« dem Sachverhalt wirklich gerecht wurden. Niemand wollte eine solche Nachricht übermitteln, aber einer musste es tun. Eine immens hohe Belastung, die Conrad Neumaier den Kollegen oft ersparte. Mit einem Papiertuch wischte er sich über den Nacken.
    »Und der Verdächtige?«
    Robert schüttelte den Kopf. »Keine Spur, bis auf den Pullover. Der ist zur Analyse im Labor.« Er starrte auf die Bildschirmnotizen. »Das heißt, außer dem Schiffer hat sich noch ein zweiter Zeuge gemeldet. Der konnte aber auch nur sagen, dass er einen Jogger auf der Brücke gesehen hat, der plötzlich schneller wurde. Den Sturz selbst hat er nicht beobachtet. Wir haben natürlich noch einen Haufen anderer Namen von Leuten, die auf der Brücke waren und angeblich nichts mitgekriegt haben. Aber vielleicht kommt noch was. Marion ist noch dran und manche brauchen eben etwas länger. Die merken erst, wenn sie noch mal drüber geschlafen haben, woran sie sich erinnern.«
    »Was uns morgen zugetragen wird, ist kaum noch verwertbar«, erklärte Neumaier ärgerlich. »Sie erinnern sich, was die Presse geschrieben hat. Und die werden die Sache schon breitwalzen. Jeder kann behaupten, dabei gewesen zu sein.«
    »Noch haben wir keine Meldung rausgegeben. Aber es könnte hilfreich sein …«
    »Nein! Das ist gut so. Belassen wir es vorläufig dabei. Kein offizielles Statement, solange wir nichts Definitives haben. Was sagt die Gerichtsmedizin?«
    Robert lachte trocken auf.
    »Wie immer: Geduld. Wollt ihr Vermutungen oder Antworten. Antworten brauchen Zeit, spekulieren könnt ihr selber. Vor Ort geben sie ungern eine Einschätzung ab. Ich warte auf das vorläufige Gutachten. Müsste aber jeden Moment kommen. Sie machen es, so schnell sie können.«
    Neumaiers zorniges Blaffen brachte sein Doppelkinn in Wallung.
    »Nicht schnell genug. Sie sind nie schnell genug!«
    Dann riss er die Jacke vom Haken und knallte die Tür hinter sich ins Schloss.
    * * *
     
    »Ich hatte schon immer ein Gespür für gute Gelegenheiten. An diesem Abend nutzte ich eine Chance, die sich mir abseits der schönen Flaniermeile bot. Im Halbdunkel. Zwielicht. Jenseits der Bahngleise des Güterbahnhofs. Ich weiß nicht, weshalb ich diesen Weg einschlug. Instinkt, vermute ich. Sie saß in einem heruntergekommenen Schuppen. Früher bot er Platz für die Fahrräder der Bahnarbeiter. Jetzt ragten nur noch wenige, rostige Metallständer in die Höhe. Die anderen lagen herausgerissen in der Ecke. Der Betonboden war von tiefen Rissen zerfurcht. Unansehnliche Stahlträger stemmten ein löchriges Wellblechdach in die Höhe und trotzten windschief der Schwerkraft. Sie lehnte mit dem Rücken an einem der Pfosten, die Beine weit von sich gestreckt. Am linken Oberarm baumelte ein breiter Lederriemen und neben ihr im Dreck lag die benutzte Spritze. Ihre großen, hellblauen

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