Ich bin ein Mörder
Britta.
Im Umkleideraum zog er sich aus, knotete das Handtuch um die Hüften. Die eigenen Fähigkeiten ausloten, Grenzen finden, alles herausholen, was möglich war. Das konnte er am besten allein. Eine günstigere Gelegenheit zu finden als hier, um diese Leidenschaft auszuleben, war kaum denkbar.
Günstige Gelegenheit. Leidenschaft. Schon verflog seine Entspannung. Er hängte das Tuch an den Haken und drehte die Dusche an. Stockmann hatte eindeutig ein Gespür für günstige Gelegenheiten. So, wie er es in dem Buch beschrieb. Alexandra war eine davon. Mehr nicht. Und Stockmann der leidenschaftliche Spieler. Der mit der Leidenschaft spielte. Mit ihrer Leidenschaft. Das warme Wasser umspülte Mischas nackte Haut. Er drehte den Hebel nach rechts, bis die Kälte jedes Gefühl betäubte. Mit schnellen, zornigen Bewegungen rieb er die Haut trocken.
Zu Hause wartete das Buch. Er hasste es. Trotzdem war er entschlossen, es zu Ende zu lesen. Es zog ihn in seinen Bann. Gegen seinen Willen. Schwer, es aus der Hand zu legen.
Ich glaube an nichts, flüsterte es. Woran glaubst du?
* * *
»Ich folgte meiner Intuition. Beinahe hätte ich Leidenschaft gesagt. Wie amüsant! Leitet man das Wort her über Leiden und schaffen, so kann es wieder als angemessen betrachtet werden. Wobei meine Leidenschaft nicht mir Leiden schafft. Sinnvollerweise müsste man natürlich die Schreibweise ändern. Nun gut, dies ist nicht der Ort und die Zeit, um über Etymologie zu philosophieren, nicht wahr? Ich folgte also meiner Intuition, wohin auch immer sie mich führte. Von den einsamen Wäldern Norwegens, über die Vereinigten Staaten bis hin in die biedere Schweiz. Es war vollkommen irrelevant, wohin ich meine Schritte lenkte. Überall war ich willkommen. Auch hier, wo alles begann und wo es endet. Für Sie, Kommissar; ausschließlich für Sie. Für mich geht das Spiel weiter, das sich Leben nennt. Und auch die Jagd. Haben Sie geglaubt, sie würde mit Ihnen enden? Wie anmaßend! Sie sind nur ein kleines Kapitel. Mehr nicht. Dort draußen in der Welt warten sie auf mich. Mit offenen Armen. Beglückt nehmen sie mich auf, begierig, sich in meine Hände zu begeben, sich mir hinzugeben – in jeder nur erdenklichen Weise. Wie könnte ich da widerstehen? Schließlich bin auch ich ein Mensch. Sie halten das für widersprüchlich? Dass ich einerseits behaupte, keine Gefühle zu empfinden, andererseits den Gelüsten anderer nicht widerstehen kann. Wie dumm Sie doch sind, die Ironie meiner Worte nicht zu erkennen! Weshalb sollte ich widerstehen, wenn es Menschen gibt, die mir doch mit ihrem Verhalten einen Vorteil verschaffen. Sie bieten mir Gelegenheiten, einfach und schnell, lechzen danach, durch meine Hand zu sterben. Vielleicht sind jene in ihrer Einfalt klüger als Sie, Herr Kommissar, denn sie stemmen sich nicht gegen das Unausweichliche, das ihnen in meiner Gestalt begegnet. Sie nehmen es an, sind auf ihre Art Wissende, denen instinktiv klar wird, dass sie durch mich eins werden mit der Unendlichkeit des Nichts. Dem allumfassenden, einzig wahrhaftigen Nichts! Ich bin der Lichtbringer, der die Finsternis ihres Geistes erhellt; der wahre Erlöser. Ist es nicht um ein Vielfaches gnädiger, die Seele, diesen sterblichen Furz des Universums, auszuhauchen im Bewusstsein des Endes, als davor zu zittern, von einem despotischen Gott nach Gutdünken gerichtet zu werden? Ich erlöse von dem Bösen, indem ich es ein für allemal beende! Nein Kommissar, ich halte mich nicht für Gott. Ich bin Gott! Weil ich es so will. Ich habe mich selbst erschaffen und lebe in der Freiheit dieses Wissens.«
Freitag, 26. Oktober
Vor der Tür des 1. Polizeireviers saß Tobias lässig auf der Kühlerhaube seines Wagens. Alexandra fühlte sich geschmeichelt. Entgegen seiner Behauptung, sich ihren Dienstplan nicht merken zu können, schien er ihre Arbeitszeiten haargenau zu kennen. Inklusive der stundenweise abzuleistenden Sonderschichten.
»Ich habe eine Überraschung für dich. Steig ein.«
Kopfschüttelnd hielt Alexandra im Abstand von drei Schritten vor ihm an und versuchte einen strengen Blick. Er sollte nicht davon ausgehen, dass sie selbstverständlich immer tat, was er sich wünschte.
»Waren wir nicht erst für Sonntag verabredet? Was ist mit deinen Terminen?«
»Ich habe den Plan geändert, die Termine verschoben.«
»Tut mir leid, ich muss zuerst nach Hause, die Uniform ausziehen.«
»Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden. Aber muss das
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