Ich Bin Ein Schwein
wartete. Kolb hatte gestern herausgefunden, dass von dem Wandschrank aus eine Brandschutztür direkt ins Treppenhaus führte. Im Treppenhaus, gleich oberhalb der Tür, befand sich eine Luke zum Dach. Das Ganze war wohl als Notausgang gedacht gewesen. Kolb hatte ihn heute als Einstieg benutzt.
Die Nutte schwieg. Kolb hörte ihre Bewegungen, ihre Kleidung, die sich auf dem samtartigen Sofapolster rieb. Einer der Küchenschränke wurde aufgeklappt, eine Glasflasche auf die Arbeitsfläche gestellt.
„Schön hastes hier“, konstatierte die Nutte nach einer Weile.
„Na ja, für einen allein reicht des schon ...“ sagte der Pedant.
Ein Schubfach wurde aufgezogen, metallisches Geklimper und Geklapper, der Korkenzieher wurde gesucht.
„Schönes Bild …“, hauchte die Nutte, das Reiben ihrer Kleidung auf dem Sofapolster.
Sie meinte wahrscheinlich das Ölgemälde, das neben der Vitrine an der Wand hing. Es handelte sich um die nicht besonders gute Reproduktion eines Malczewski. Kolb kannte das Original. Er hatte es in Polen gesehen, in Warschau. Er war dort im Rahmen eines Auftrags gewesen. Das Treffen mit dem Mittelsmann hatte sich hinausgezögert. Also hatte er ein paar Tage Zeit gehabt. Er war viel im National-Museum gewesen. Vor diesem Bild von Malczewski hatte er Stunden verbracht.
„Was hält denn die Frau da?“ fragte die Nutte.
„Was meinscht?“
Das kaum hörbare Quietschen des Korkenziehers, der sich in den Korken schraubte.
„Na auf dem Bild, die halbnackte Frau da, mit dem roten Umhang vor der Holzhütte?“
„Ach so“, der Korken plöppte aus der Flasche, „des isch eine Sense.“
„Wie gruselig …“
„Na ja, ich find die Farbe ganz nett, von denne Blüte. Desch hab ich in irgend so nem Antiquitätenlade gefunde.“
Noch einmal Schritte, Terrakotta, Parkett, eine Tür der Vitrine quietschte leise, zwei Kristallkelche klirrten beim Herausholen aneinander, Schritte auf dem Parkett, Teppich, Parkett – Gluckern.
„Bitteschön!“, der Körper des Pedanten landete schwer auf dem Sofa.
„Stimmt, die Blüten sind schön. Ist der alte Typ im Fenster da tot?“
Schweigen. Vielleicht machte die Frage den Pedanten verlegen. Möglicherweise hatte er den Toten im Fenster der malerischen Hütte auf seinem eigenen Bild noch gar nicht bemerkt. Es schien den Pedanten schließlich auch nicht besonders zu stören, dass die Frau mit dem roten Gewand und der Sense streng betrachtet nicht einfach eine Frau war. Kolb dachte an
American Psycho
, an den Onica. Kolb las viel. In den Zeiträumen zwischen den Aufträgen hatte er nichts zu tun. Also las er viel.
Schließlich räusperte sich der Pedant: „Weischt, ich glaub ja, der schläft blosch.“ Seine Stimme klang entschlossen heiter.
Die Nutte lachte: „Na, ich glaub eher, der ist hin. Und das da ist die Sensenfrau …“
„Proscht!“, machte der Pedant.
„Prost!“
Die Kristallkelche stießen aneinander.
Außer den beiden war niemand zu hören. Auch im Treppenhaus war es ruhig. Sie waren allein mit Kolb. Nur das dumpfe Gelächter und Gesinge der beiden Frauen in der Wohnung ein paar Stockwerke tiefer. Der Pedant hatte seinen Leibwächter unten in der Kneipe abgegeben. Die Nutte lachte, diesmal gedehnt. Das sollte lasziv klingen. Kolbs Observierung hatte ergeben, dass der Pedant nur zu wenigen Gelegenheiten unbewacht war. Drei Leibwächter wechselten sich schichtweise ab. Bosnische Serben: Ante, Goran und Rade. Kolb konnte sie nur schwer auseinanderhalten. Sie trugen alle schwarze Anzüge und dunkle Sonnenbrillen, hatten den gleichen Bürstenhaarschnitt und verschränkten beständig die Hände vor dem Bauch. Kolb war nicht von ihnen beeindruckt. Er hatte ihren Schützling drei Wochen lang systematisch überwacht. Ante, Goran und Rade hatten davon nicht das Geringste bemerkt. Kolb kannte jetzt die wenigen Gelegenheiten, bei denen sie nicht in der Nähe des Pedanten waren. Samstags in der Sauna, Dienstag nachmittags, wenn er seine MS-kranke Schwester besuchte; am Donnerstag, wenn die Nutte kam, schien Kolb allerdings die beste Gelegenheit zu sein. Ante, Goran oder Rade saßen dann immer in der Kneipe schräg gegenüber der Wohnung ihres Schützlings, eine Stunde, zwei Stunden, solange es eben dauerte. Goran – oder war es Rade gewesen? – hatte sich, während Kolb ihn vom Auto aus durchs Kneipenfenster beobachtet hatte, die ganze Zeit an einem Mineralwasser festgehalten und andauernd auf das prunkende Rolex-Imitat an seinem Handgelenk
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