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Ich Bin Ein Schwein

Ich Bin Ein Schwein

Titel: Ich Bin Ein Schwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Steinlechner
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geschaut. In der Woche darauf war der Besuch der Nutte in Antes Schicht gefallen. Zumindest glaubte Kolb das, jedenfalls war es nicht Goran gewesen. Er hatte ein identisches Rolex-Imitat am Handgelenk gehabt, mit dem er zwar auffällig herumgewedelt hatte, ohne jedoch einen Blick an dessen Ziffernblatt zu verschwenden. Dafür hatte er sich ein Bier nach dem Nächsten bestellt und versucht, die blonde Thekenkraft in ein Gespräch zu verwickeln. Von der Kneipe aus konnten die Leibwächter sehen, wenn die Nutte das Haus verließ. Zehn, fünfzehn Minuten später, in diesem Zeitraum duschte der Pedant wahrscheinlich, klingelte ihr Handy. Dann kamen sie hoch und nahmen wieder ihre Posten ein.
    Kolb wartete. Kolb lauschte. Er hörte die Hände des Pedanten in der Kleidung der Nutte herumfummeln. Er hörte sein gepresstes Atmen. Er hörte den Atem der Nutte. 23:19. Er selbst hielt seinen Atem flach. Er konzentrierte sich darauf, keine Bewegung zu machen. Kolb hielt es für das Beste, vorerst im Wandschrank zu bleiben. Zu lauern. Bis sie hoch kämen.
    „Und was machen wir nun, Vanescha?“, fragte der Pedant.
    „Valérie!“, die Stimme der Nute klang bestimmt und ernst, „mein Name ist Valérie!“
    Betretenes Schweigen. Nach einer Weile erklang die Stimme der Nutte, plötzlich wieder heiter: „Du könntest mir erstmal den Rest der Wohnung zeigen. Was ist denn da oben?“
    „Da? – Na rate mal!“
    „Hm, hmmmm – weiß nicht.“
    „Das Schlafzimmer!“. Die Stimme des Pedanten klang beglückt und sehr schwäbisch.
    Hinter dem Spalt ging das Licht an. Kolb kniff die Augen zusammen. Schritte polterten die Holztreppe hinauf. Zuerst tauchte der Kopf des Pedanten auf. Er war rund und rosa. Halbglatze, das verbliebene weiße Haar millimeterkurz geschoren, gepflegter Dreitagebart. Dann, anthrazitfarbener Einreiher, weißes Hemd. Der Pedant war gleich wieder verschwunden. Der Spalt gab nur einen schmalen Streifen des Zimmers preis: den unteren Teil des Bettes, dahinter den Treppenaufgang, etwas beigen Boden. Das meiste blieb verborgen.
    Die Nutte: Lange blonde Haare fielen ihr glatt vom Mittelscheitel, rote Lippen, leicht gebräunte schmale Schultern, die Haut glänzte, champagnerfarbenes Paillettenkleid. Auch sie verschwand für einen Moment im unsichtbaren Teil des Zimmers, tauchte aber sofort wieder auf. Sie kam auf Kolb zu. Er schaute in die linke Hälfte ihres ebenen Gesichtes, in eines ihrer braunen Augen, dessen Blick über Kolb hinweg ging. In der Hand hielt sie einen Kristallkelch mit rotem Wein. Die Linie von Brustkorb, Taille und Becken unter dem engen Kleid. Ihr rechtes Bein, lang, schlank, in weißem Strumpf.
    „So, da wärn wir!“ Wahrscheinlich breitete der Pedant bei diesem Satz großspurig die Arme aus.
    Die Nutte drehte sich zu ihm um. Nun zeigte sie Kolb ihren Rücken, den kleinen festen Hintern, die gestrafften Waden. Sie trug Stilettos. Champagnerfarben, passend zum Kleid.
    Sie begutachtete das Zimmer. Die Haltung ihres Kopfes verriet Kolb, dass ihr Blick auf dem großen Regal ruhte, das die Wand, vor der das Bett stand, beinahe ganz ausfüllte. Sie betrachtete das Regal lange. Von oben wanderten ihre Blicke nach unten, ihr Kopf senkte sich. Kolb hatte es gestern ebenso getan. Wenn er in einer fremden Wohnung war, sei es im Rahmen eines Auftrages, oder auf Besuch, letzteres kam seltener vor, studierte er nach Möglichkeit immer das Bücherregal. Das Bücherregal verrät viel über dessen Besitzer. In dem des Pedanten fanden sich vor allem Aktenordner, unzählige Aktenordner, jede Menge DVDs und nur wenige Bücher. Das waren zumeist große Bildbände, viel Erotik,
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usw.; ein paar Bände Brockhaus, die Chronik des 20. Jahrhunderts; nur wenig Literatur, alles Unterhaltung: James Clavell, Frederik Forsyth, Peter Schätzing. Unten angekommen glitt ihr Blick rasch über das Bett; ihr Kopf richtete sich an der anderen Seite des Zimmers aus, das sie von unten nach oben abtastete. Zuerst die zahllosen Kartons, die rechts neben dem Schreibtisch aus der hintersten Ecke der Dachschräge hervorquollen. Der Schreibtisch war die einzige Antiquität im Zimmer. Barock, vergoldete Schnörkel. Schließlich ruhte ihr Blick auf dem Gesicht des Pedanten. Der stand irgendwo vor dem Schreibtisch, er saß nicht, ihr Kopf war nicht gesenkt, sie sagte: „Bist du mal so lieb …“, ging vorwärts, verschwand.
    Das Geräusch der Kristallkelche, die auf der Schreibtischplatte abgestellt wurden.
Ssssip
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