Ich Bin Ein Schwein
Müller derzeit besonders zu beschäftigen. Ein ziemlich großes Ding, ein ziemlich brenzliges Ding. Werner Müller hatte wohl eine Ladung Falschgeld aus Bulgarien abgefangen. Jetzt vertrieb er die Blüten. Unter Marktpreis. Genaueres wusste Kolb nicht. Aber einer von Werner Müllers Geschäftspartnern, ein Hehler, der irgendwie mit in der Sache steckte, wurde zusehends nervöser. Er rief Werner Müller ständig an, bat um Treffen. Der Hehler hatte Schiss. Vor den Bulgaren. Werner Müller ließ das alles kalt. Er trieb seinen schwunghaften Handel mit den Blüten, verfolgte seine sonstigen Geschäfte und reagierte verärgert auf die Anrufe seines Geschäftspartners.
23:07. Kolb schloss wieder die Augen. Er sah nichts dabei. Kolb wusste, dass andere Menschen mitunter etwas sahen, wenn sie ihre Augen schlossen. Bilder, Erinnerungen oder wenigstens farbige Pünktchen.
Einmal, vor einigen Jahren, hatte er das Kind seiner Schwester zu Bett gebracht. Sein Neffe war damals fünf gewesen. Er hatte Kolb erzählt, wenn er die Augen schlösse, sähe er einen Zwerg. Der Zwerg sei sogar noch da, wenn er die Augen wieder aufmache. Kolb hatte das beunruhigend gefunden. Er hatte seiner Schwester davon erzählt. Seine Schwester hatte gelacht und gemeint, das sei normal, Kinder hätten eine lebhafte Fantasie. Kolb konnte sich nicht erinnern, jemals derartige Wahrnehmungen gemacht zu haben. Nicht als Kind und später erst recht nicht. Wenn Kolb die Augen schloss, sah er nichts. Alles war schwarz. Kolb lauschte. Es klackerte wieder im Treppenhaus. Kolb schlug die Augen auf. 23:09. Zwei Körper lärmten in das Treppenhaus.
„Hiiieee – hihihi!“ machte eine hohe Frauenstimme.
„Leise …“ antwortete ein Mann.
Kolb erkannte ihn sofort. Es war der Pedant. Kolb hatte ihn Stunde um Stunde mit dem Richtmikrofon abgehört. Die beiden Körper stiegen die Treppen hoch. Ihr Gepolter kam näher, das Gequieke der Frauenstimme, der Pedant: „Pscht – pscht! Die Nachbarn.“
Jetzt waren sie vor der Wohnungstür. Kolb hörte wie der Pedant den Schlüssel in das Schloss zu bekommen versuchte. Es klappte nicht gleich. Das Schloss sprang auf. Die Körper polterten in den Flur. Kolb entsicherte die Waffe. Die Wohnungstür fiel mit einem lauten Rumms wieder zu. Kolbs Waffe war eine
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mit verstellbarer Mikrometervisierung und aufgeschraubtem Schalldämpfer. Kolb verwendete jede Waffe nur ein einziges Mal. Danach ließ er sie verschwinden. Die Frauenstimme unten quietschte und gackerte noch immer vor sich hin.
„Komm doch erscht mal h’nei! Möchtescht du wasch trinke? Setz dich doch!“
Kolb hörte die Nutte ins Sofa plumpsen. Er war sich sicher, dass es sich um eine Nutte handelte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass der Pedant eine andere Art von Verabredung mit einer Frau haben könnte. Aus irgendeinem Grund hatte er die Nutte heute auswärts getroffen.
„Einen Wein?“
„Ja, ja…“, machte die Nutte.
„Weiß oder rot?“
„Weiß, nein rot! – Ist mir egal!“
„Na, was denn nu?“
„Rot oder weiß!“. Die Nutte quiekte und gackerte.
Kolb lauschte. Er hörte den Pedanten das Wohnzimmer durchqueren, hörte die glatten, weichen Ledersohlen seiner Schuhe auf dem Parkett, dem persischen Teppich, wieder dem Parkett, schließlich auf den Terrakotta-Fliesen in der Kochnische. Kolb war gestern schon einmal in die Wohnung eingestiegen. Er hatte sich alles genau angesehen und eine Grundrissskizze gemacht, die er intensiv studiert hatte.
Die Wohnung war kleiner, als er angesichts der anzunehmenden Einkünfte des Pedanten erwartet hätte. Eine Zweiraumwohnung, um die 75 Quadratmeter, Maisonette. Zuerst ein winzige Diele, gleich rechts das Bad, Marmor und Goldamaturen, danach das große Wohnzimmer, in dessen hinterem Teil, rechts vom Eingang, die strahlend weiße Kochnische eingelassen war. Das Sofa stand an der Wand gegenüber der Kochnische. Davor ein kleines Teetischchen. Die ganze Einrichtung bestand aus Antiquitäten, Biedermeier, alles Nussbaum. Die tickende Schrankuhr, in der Ecke beim Sofa. Vor der Kochnische, ein großer runder Esstisch mit vier Stühlen, an der Wand rechts daneben, eine Vitrine, in der der Pedant sein weißes Porzellan und seine Kristallgläser ausstellte. Eine Treppe führte von einem kleinen Podest mit drei filzbeschlagenen Stufen mit eingelassenen Schubfächern über das Sofa hinweg nach oben ins Schlafzimmer mit dem Wandschrank, in dem Kolb hockte und
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