Ich Bin Gott
deutete in die Küche, aus der das Lärmen der jungen Leute drang.
» Aber das sagen Sie diesen Gierschlünden selbst.«
» Die werden nicht mucksen, dafür sorge ich schon.«
» Davon bin ich überzeugt.«
Mrs. Carraro setzte ihre streitbarste Miene auf und verschwand wieder in der Küche. Obgleich die Jugendlichen entschieden in der Überzahl waren und Mrs. Carraro ganz offensichtlich in der Minderheit, zweifelte er keinen Moment daran, dass sie den Kampf gewinnen würde. John überließ es den Jugendlichen, sich mit der Köchin auseinanderzusetzen. Dem Anschein nach war sie sanft und nachgiebig, in bestimmten Situationen aber konnte sie äußerst willensstark sein. Wenn sie einmal eine Entscheidung getroffen hatte, war es schwierig, sie davon abzubringen, besonders wenn diese Entscheidung Pater McKean zugutekam.
John wandte sich nach links, ging gemächlich am Haus entlang und sog die salzige Luft ein.
Dabei dachte er nach.
Die Sonne war schon warm, und die Vegetation explodierte geradezu mit diesem grünen, stillen Donnern, das wie immer Herz und Augen überraschte und urplötzlich über die grauen, kalten Mauern des Winters triumphierte. John erreichte die Vorderseite des Hauses und spazierte über die Gartenwege, deren Kies unter seinen Schuhsohlen knirschte. Irgendwann hatte er nur noch die leuchtende Fläche des Meeres und das Grün des Parks auf der anderen Kanalseite vor sich. Er blieb stehen, die Hände in den Taschen, und hielt sein Gesicht in die Brise. Sie brachte den Geruch des Wassers mit sich und das Gefühl, dass alles möglich ist. Das Gefühl des Frühlings.
Dann drehte er sich um und betrachtete das Haus.
Steine und Balken.
Glas und Beton.
Technik und Handwerk.
Menschliche Dinge.
Was sich allerdings hinter diesen Wänden verbarg, ob es nun aus Stein oder aus Holz bestand, war viel mehr. Es hatte eine Bedeutung. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich zu etwas zugehörig, unabhängig vom Anfang und vom Ende und von den Wechselfällen des Lebens.
John Kortighan war nicht gläubig. Er hatte nie jemandem vertraut, weder Gott noch den Menschen und folglich auch nicht sich selbst. Dennoch war es Michael McKean gelungen, eine Bresche in die Mauer zu schlagen, die die Menschen zwischen sich und ihm errichtet und die er selbst noch einmal verstärkt hatte. Bis heute war Gott ein nicht fassbarer, ferner Begriff für ihn, der sich hinter der klaren und reinen Menschlichkeit seines Vertreters verbarg. Er hatte es Michael nie gestanden, aber in gewisser Hinsicht hatte der nicht nur das Leben der Jungen und Mädchen, sondern auch das seine gerettet.
In den Fenstern des ersten Stocks spiegelte sich der Himmel, dennoch konnte er schemenhafte Gestalten dahinter ausmachen, bestimmt die Jugendlichen, die in ihre Zimmer gingen. Jeder Einzelne von ihnen hatte seine Erfahrungen gemacht, kannte sein Bruchstück vom Leben. Wenn all diese Bruchstücke wie Kristalle in einem Kaleidoskop zu zufälligen Mustern zusammenfielen, ergab sich ein lebendiges, aber fragiles Bild. Wie alles Unbeständige war es nicht einfach zu interpretieren, überraschte aber durch seine Farben.
John ging wieder zurück und betrat das Haus durch den Haupteingang. Dann nahm er die Treppe nach oben. Schritt für Schritt und Stufe für Stufe stieg er hinauf und ließ seinen Gedanken freien Lauf.
Die Geschichte des Joy war einfach und zugleich kompliziert. Wie so oft ging seiner Gründung ein tragisches Ereignis voraus, denn manche Ideen müssen aus dem Schmerz geboren werden, um die Kraft zu finden, Wirklichkeit zu werden.
John hatte zu dieser Zeit noch nicht in der Gegend gewohnt, doch er hatte Michaels knappen Bericht in Gesprächen mit dem Pfarrer von Saint Benedict ergänzt.
Es war …
… eine Beerdigung an einem Freitag.
Robin Wheathers, ein siebzehnjähriger Junge, war an einer Überdosis Heroin gestorben. Er war im Park auf der anderen Seite der Brücke an der Kreuzung Shore Road, City Island Road von zwei Joggern gefunden worden. Das Paar hatte den Körper durch die Blätter eines Busches hindurch auf dem Boden liegen sehen. Beim Näherkommen entdeckten sie, dass er röchelte, aber nicht bei Bewusstsein war. Notarzteinsatz und sofortiger Transport ins Krankenhaus konnten nichts mehr ausrichten. Robin starb wenig später in den Armen seiner Mutter, die von einem Streifenwagen abgeholt worden war. Sie selbst hatte sich bereits bei der Polizei gemeldet, weil ihr Sohn ohne jede Ankündigung die ganze Nacht
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