Ich Bin Gott

Titel: Ich Bin Gott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Faletti

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nahmen, für die sie gar nicht verantwortlich sein konnten.
    » Ich weiß, was Sie denken.«
    » Was?«
    » Dass ich ein Mythomane bin und es keinerlei Beweise dafür gibt, dass das, was ich behauptete, der Wahrheit entspricht.«
    Michael McKean, Vernunftmensch und gläubiger Priester, fühlte sich in diesem Moment wie ein Tier, dessen Sinne bis zum Äußersten gespannt waren. Und in seinem tiefsten Innern schrie es, dass dieser Mann die Wahrheit sagte.
    Er musste erst einige Male tief durchatmen, bevor er weitersprechen konnte. Der andere begriff und respektierte sein Schweigen. Als McKean die Stimme wiedergefunden hatte, appellierte er an das Erbarmen und wusste schon jetzt, dass es vergeblich sein würde.
    » Welchen Sinn haben all diese Toten für dich? All dieser Schmerz?«
    » Gerechtigkeit. Und Gerechtigkeit dürfte eigentlich niemals Schmerz hervorrufen. In der Vergangenheit wurde jedoch häufig solche Gerechtigkeit geübt, und sie wurde zum Objekt der Verehrung. Warum sollte es dieses Mal anders sein?«
    » Was verstehst du unter Gerechtigkeit?«
    » Das Rote Meer, das zurückweicht und sich wieder schließt. Sodom. Gomorrha. Es gibt noch viele andere Beispiele, falls Sie Bedarf haben.«
    Die Stimme schwieg einen Augenblick. Pater McKean kam der Beichtstuhl jetzt wie der kälteste Ort der Welt vor. Am liebsten hätte er geschrien, dass das doch nur Erzählungen aus der Bibel waren, dass man sie nicht wörtlich nehmen durfte, dass …
    Er hielt sich zurück und verpasste den Augenblick für eine Erwiderung. Sein Gesprächspartner hatte sein Schweigen als Einladung zum Weitersprechen verstanden.
    » Die Menschen hatten zwei Evangelien, eines für ihre Seelen und eines für ihre Leben. Ein religiöses und ein weltliches. Beide haben die Menschen mehr oder weniger dasselbe gelehrt: Brüderlichkeit, Gerechtigkeit, Gleichheit. Und es gab Menschen, die diese Werte in der Welt und in der Geschichte verbreitet haben.«
    Die Stimme schien von einem Ort zu kommen, der viel weiter entfernt war, als die kurze Distanz, die sie trennte. Jetzt war sie nur noch ein Hauch, brüchig, voller Enttäuschung. Eine Enttäuschung, die Wut und nicht Tränen hervorruft.
    » Doch praktisch niemand hatte die Kraft, danach zu leben.«
    » Kein Mensch ist vollkommen, das ist Teil seiner Natur. Kennst du denn kein Erbarmen? Bereust du nicht, was du getan hast?«
    » Nein. Weil ich es wieder tun werde. Und Sie sind der Erste, der es erfährt.«
    Pater McKean barg das Gesicht in den Händen. Was hier geschah, war zu viel für einen Menschen. Wenn es stimmte, was der Mann sagte, dann war es eine Prüfung, die seine Kräfte überstieg. Jeder im Gewand eines Geistlichen wäre in dieser Situation überfordert gewesen. Die Stimme drängte weiter, nicht grausam, sondern schmeichelnd und verständnisvoll.
    » In Ihren Worten bei der Messe lag Schmerz und Anteilnahme. Wahrer Glaube lag nicht darin.«
    Pater McKean widersprach, lehnte sich aber nicht gegen diese Worte auf, sondern gegen seine Angst.
    » Wie kannst du das sagen?«
    Der Mann sprach weiter, als hätte er die Frage nicht gehört.
    » Ich werde Ihnen helfen, ihn wiederzufinden, Michael McKean. Ich vermag das.«
    Wieder eine Pause. Dann die Worte, die der Beginn der Ewigkeit waren.
    » Ich bin Gott.«

15
    Im Joy regierte das Fast.
    Alles funktionierte fast, glänzte fast, war fast modern. Das Dach war fast in Ordnung, und der Außenanstrich war fast noch gut. Die wenigen Angestellten erhielten fast regelmäßig ihr Gehalt, die sonstigen Mitarbeiter verzichteten fast immer darauf. Alles war aus zweiter Hand, und was wirklich neu war, stach aus diesem Sammelsurium der abgenutzten Dinge heraus, wie ein Feuerwehrauto aus dem Verkehr. Das Joy war jedoch auch der Ort, an dem jeden Tag mühevoll an einem Floß weitergebaut wurde.
    Als John Kortighan das Batmobile über den Schotterweg nach Hause lenkte, war ihm bewusst, dass im Fahrzeug eine Gruppe Jugendlicher saß, für die das Leben bislang ein schlechter Ratgeber gewesen war. Nach und nach hatte es ihr Vertrauen aufgezehrt, und sie waren so lange einsam gewesen, dass sie die Einsamkeit für Normalität hielten. Jeder von ihnen hatte mit dem Erfindungsreichtum, den ein widriges Schicksal verleiht, seine ganz persönliche Weise gefundenen, sich zu verlieren und sich selbst zu zerstören. Und die Welt hatte in ihrer Gleichgültigkeit ihre Spuren verwischt.
    An diesem Ort nun konnten sie gemeinsam den Versuch unternehmen, sich wiederzufinden und