Ich Bin Gott
abgefertigt, ohne dass irgendjemand sie um ihr Urteil gebeten hätte.
Als sie das Auto in der Surf Avenue in Coney Island parkte, hatte sie ein schlechtes Gewissen.
» Tut mir leid, was ich vorhin gesagt habe, Russell. Was auch immer deine Gründe sein mögen, du hast uns sehr geholfen, und dafür sind wir dir dankbar. Zu allem anderen steht mir kein Urteil zu. Es sollte nicht so sein, aber ich habe ein paar private Schwierigkeiten, die sich auf mein Verhalten auswirken.«
Russell schien überrascht über diese plötzliche Offenheit. Er lächelte sie an.
» Ist schon in Ordnung. Wenn jemand verstehen kann, wie sehr persönliche Probleme die eigenen Entscheidungen beeinflussen, dann bin ich es.«
Sie stiegen aus und suchten die Adresse, die Vivien von der Internetseite der Skullbusters abgeschrieben hatte. Unter der angegebenen Hausnummer fanden sie einen Harley-Davidson-Händler mit einer Werkstatt für Reparaturen und Tuning. Der Laden wirkte geschäftsmäßig und gepflegt und war Lichtjahre von den Bikerhöhlen entfernt, die Vivien in der Bronx oder in Queens erlebt hatte.
Sie traten ein. Auf der linken Seite standen Motorräder aufgereiht, verschiedene Modelle zwar, aber durchweg Harleys. Auf der rechten Seite fand man Motorradbekleidung und sonstiges Zubehör, von Helmen über Overalls bis hin zu Auspufftöpfen. Gegenüber der Tür befand sich ein Verkaufstresen, hinter dem ein großer, kräftiger Mann in Jeans und ärmellosem schwarzem Hemd stand. Er trug ein schwarzes Bandana. Schnurrbart und Backenbart erinnerten an Julia Roberts Freund in Erin Brockovich. Als er näher kam, sah sie, dass der Bart gefärbt war, und das Kopftuch hatte vermutlich die Aufgabe, eine Glatze zu verbergen. Auch die Sonnenbräune konnte nicht davon ablenken, dass der Mann schon vor einiger Zeit die sechzig überschritten hatte. Auf seiner rechten Schulter waren derselbe Jolly Roger und derselbe Schriftzug eintätowiert wie bei der vor fünfzehn Jahren einbetonierten Leiche.
» Guten Tag. Mein Name ist Vivien Light.«
Der Mann lächelte amüsiert.
» Die vom Film?«
» Nein, die von der Polizei.«
Noch während sie antwortete, holte Vivien ihre Polizeimarke heraus. Die Ähnlichkeit ihres Namens mit dem von Vivien Leigh, der Hauptdarstellerin aus Vom Winde verweht, verfolgte sie schon ihr ganzes Leben.
Der Mann behielt seine gute Laune.
Dickes Fell oder ruhiges Gewissen, dachte Vivien.
» Mein Name ist Justin Chowsky. Ich bin der Inhaber. Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«
» Soweit ich informiert bin, war hier der Sitz eines Motorradclubs mit dem Namen Skullbusters.«
» Das ist es noch immer.«
Chowsky lächelte über Viviens überraschtes Gesicht.
» Im Laufe der Zeit hat sich so einiges geändert. Früher war es ein Treffpunkt für eine Gruppe von ziemlich wilden Jungs. Manche hatten auch Probleme mit dem Gesetz. Ich auch, wenn ich ehrlich sein soll. Kinkerlitzchen, das können Sie überprüfen. Ein Joint, eine Schlägerei, ein paar Biere zu viel.«
Der Mann mit dem sonderbaren Bart blickte zum Schaufenster, als würden sich dort Szenen aus seiner Jugend abspielen.
» Wir waren vielleicht Hitzköpfe, doch keiner von uns war ein echter Verbrecher. Die wirklich üblen Typen sind schon von allein gegangen.«
Er machte eine Geste, die das Geschäft und seinen offensichtlichen Stolz umfasste.
» Eines Tages habe ich beschlossen, diesen Laden hier aufzumachen, und nach und nach sind wir zu einer der landesweit wichtigsten Stellen für Verkauf und Tuning von Harleys geworden. Und die Skullbusters sind zu einer fröhlichen Truppe von alten Nostalgikern geworden. Unbeirrt gondeln sie wie junge Kerle mit ihren Motorrädern durch die Landschaft.«
Vivien sah Russell an, der sich einige Schritte hinter ihr gehalten und sich auch nicht vorgestellt hatte. Innerlich lobte sie ihn dafür. Das war einer, der wusste, wo sein Platz war.
Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Mann vor sich.
» Mr. Chowsky, ich brauche eine Information.«
Sie nahm das Schweigen des Mannes als Einwilligung.
» Können Sie mir sagen, ob vor etwa fünfzehn Jahren ein Mitglied Ihrer Gruppe spurlos verschwunden ist?«
Die Antwort kam prompt, und Vivien spürte Hoffnung in sich aufkeimen.
» Mitch Sparrow.«
» Mitch Sparrow?«
Vivien wiederholte den Namen, als hätte sie Angst, dass sie ihn sofort wieder vergessen könnte.
» Richtig. Um genau zu sein, ist es …«
Chowsky zog das Bandana ab und widerlegte Viviens Verdacht,
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