Ich bin kein Berliner
geschlossenen Augen auf jeden Kopf zaubern. Diese Frisur stieg schnell zum ersten Westprodukt auf, das für breite Schichten der Bevölkerung zugänglich war. Dazu kamen ungarische Stiefel und DDR-Jeans. Unter den Jugendlichen waren auch Plastiktüten aus dem Westen große Mode. Sie mussten aber unbedingt von einer Jeans-Firma sein, also mit einem knackigen Hintern drauf. Solche Tüten wurden nur auf dem schwarzen Markt verkauft. Damit sie länger hielten, stülpte man sie über eine ganz normale sowjetische Stofftasche. Ich hatte demnach die beste Tüte in unserer Schule: mit Lee-Werbung und gleich zwei Hintern drauf.
Die Isolation der Sowjetunion hatte aber auch ihre positiven Seiten: Die Bevölkerung hatte von den Modegurus der westlichen Welt wenig Ahnung und war also in Sachen Mode und Stil auf sich selbst angewiesen. Das erforderte große Phantasie und handwerkliches Geschick. Jede Frau war eine Näherin der Extraklasse. Niemand kaufte die sowjetischen Fertigprodukte, alles wurde zu Hause nach den eigenen Vorstellungen von Mode und Schick geschneidert. Zum Glück gab es genug Rohstoffe in der Sowjetunion – chinesische Baumwolle, Fallschirmseide, Leinen. Außerdem strickte man wie verrückt. In vielen Haushalten lebten große Hunde, die von ihren Besitzern regelmäßig gekämmt wurden und deren Wolle anschließend handversponnen wurde. Meine Nachbarin hatte sich aus ihren zwei Neufundländerrüden einen dermaßen schicken Wintermantel angefertigt, dass unser ganzes Haus vor Neid erblasste. Strickmagazine waren unglaublich begehrt und schwer aufzutreiben. Sie hatten oft so lustige Überschriften wie »Stricken Sie sich Ihren Mann zurecht«.
Für ihre Reise nach Deutschland hatte sich meine Frau originell angezogen, schließlich hielt sie den Westen für modebewusst und wollte nicht vor ihm kapitulieren. Olga trug eine selbst genähte grüne Seidenhose mit gelben Blumen gemustert und einen selbst gestrickten weißen Pullover, der sich dann als viel zu schick für Berlin erwies. Die westliche Mode kam ihr hier mehr als bescheiden vor. Später hegte sie große Erwartungen, was die Pariser Mode betraf. Diese Stadt war als Wiege des guten Geschmacks und Heimat der Schickeria in die Herzen aller Russen gedrungen. Doch Paris war für Olga eine noch größere Enttäuschung. Nirgendwo hatte sie so viele ungepflegte und schlecht angezogene Frauen gesehen, erzählte sie nach ihrem ersten Besuch.
»Man hat das Gefühl, die Pariser Frauen ziehen exakt solche Sachen an, die alle Mängel ihres Körpers betonen, anstatt sie zu verschleiern. Dagegen ist Berlin geradezu eine feine Modestadt, obwohl man auch hier die Neigung der Bevölkerung sieht, über besonders große Hintern eine extrem enge Hose anzuziehen oder umgekehrt.«
Seit fünfzehn Jahren leben wir inzwischen hier und können sowjetische Frauen noch immer in der Menschenmenge erkennen: aufwändige Frisuren, volles Make-up mit Grundierung, viel Schmuck, Blusen mit Pailletten, Seide, Angora, Leder, Pelze und hohe Absätze. Die Berliner Frauen, zumindest in unserer fortschrittlichen intellektuellen Gegend, bevorzugen H&M, Pimkie und orientalische Tibet-Klamotten-Geschäfte, bei denen sie sich gern in Lagen unterschiedlicher Farben einwickeln. Um bei uns modisch gekleidet zu sein, muss eine Frau Folgendes tun: über dem Top ein T-Shirt anziehen, darüber eine Bluse, Jacke oder einen Strickpullover, wobei alle Kleiderschichten unbedingt einzeln erkennbar sein müssen. Dazu gehört ein Minirock mit einer Siebenachtel-Hose darunter, die Socken sollten gut zu sehen sein. Das Ganze noch unbedingt mit einem Poncho oder Schal bedecken, auf den Kopf eine Strickmütze mit peruanischen Motiven, ein Wickeltuch mit einem Baby auf den Rücken, dann rauf aufs Fahrrad und lospreschen, damit die Sachen im Wind flattern – das ist hier die Mode 2006. Ich bin sicher, sie wird noch lange halten.
TIPP:
Wer in puncto Frauenmode in Berlin auf dem Laufenden bleiben will, dem sei das Café am Neuen See im Tiergarten empfohlen. Dort lachen sich die Teenager von Ruderbooten aus tot über die aufgebrezelten Weiber an Land.
Männermode in Berlin
In Moskau war die Männermode hauptsächlich vom Wetter und der Willkür des Staates abhängig. Alle Wohnungen hatten eine Zentralheizung, die man selbst nicht regeln konnte. Die Regierung sorgte sich um die Gesundheit des Volkes und stellte uns die Heizung in der Regel schon im September auf volle Pulle. Infolgedessen liefen die Männer zu Hause
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