Ich bin kein Berliner
Hause«, sagen wir.
Wir haben schließlich selbst Kinder. Dann gehen wir halt auch in den Zirkus oder kaufen uns ein Kilo Gummibärchen, leihen uns ein paar Kinderfilme in der Videothek aus und veranstalten einen gemütlichen Kinder-Videotag zu Hause. Milchshakes sind angesagt. Man passt sich der Umgebung an.
Seitdem mein Kollege, der Geschäftsführer der »Russendisko Records«, Vater geworden ist, benimmt er sich immer öfter kindisch. Neulich schickte er mir eine SMS: »Fühle mich als Geschäftsführer überfordert, zu viel Papierkram, das Kind schreit, ich kann und will die Geschäftsführung nicht mehr machen.«
Zehn Minuten später schrieb er: »Habe ein wenig übertrieben, Kind schläft, kann die Geschäftsführung wieder übernehmen.«
Nicht die Politiker, die Kinder regieren heimlich an unserer Ecke, sie lassen die Erwachsenen zu ihrer Musik tanzen. Was allerdings die Ursache für diesen Babyboom sein könnte, ist mir noch rätselhaft. Es gibt im Prenzlauer Berg wenig Grünanlagen, viel Verkehr, die meisten Bewohner sind schwul oder Studenten, in der Regel sogar beides. Doch man braucht keine Statistik, um zu sehen, dass der Bezirk deutlich den ersten Platz in puncto Geburtenrate belegt. Selbst das große Kondom-Kaufhaus auf der Schönhauser Allee konnte daran nichts ändern. In unserer Schule sind für das nächste Jahr drei erste Klassen eingerichtet worden, in der Schule gegenüber gleich vier, und sie reichen nicht aus.
Ein Kollege von mir meinte dazu, die Ursache für den Babyboom liege im Internet, denn der Babyboom würde sich logischerweise aus dem Internet-Börsenboom/Crash ergeben, der vor einigen Jahren stattfand. Viele junge Menschen hätten damals in relativ kurzer Zeit ziemlich viel Geld verdient und sich dann aus dem Staub gemacht. Anstatt weiter zu investieren, seien sie in Frührente gegangen, hätten sich im Prenzlauer Berg gemütlich einquartiert und mehrfach reproduziert.
Ich bezweifle, dass das stimmt. Tatsächlich haben viele meiner Bekannten viel Zeit im Internet verbracht. Sie waren dort jedoch nur als Nutzer und nicht geschäftlich unterwegs. Sie haben sich nicht bereichert und sind trotzdem Eltern geworden. Man kann diese erhöhte Geburtenrate genauso gut durch die aggressive amerikanische Außenpolitik erklären, die sich auf politisch engagierte Menschen potenzsteigernd auswirkt, oder den Babyboom als Auswirkung der Osterweiterung erklären. Eins steht fest: Fast jeder, der hierherzieht – ob alt oder minderjährig, Homo oder Hetero –, bekommt ein Kind oder wird selbst zu einem. »Das ist ein Boom, Baby!«, wie mein Sohn dazu sagen würde.
TIPP
In der letzten Zeit geht der Trend in Sachen Kinderunterhaltung hier eindeutig in Richtung Indoor-Kinderspielplätze, wo Eltern ihre Kinder gegen einen geringen Preis für kurze Zeit abgeben können. Bei den meisten Spielplätzen müssen sie auch ihren Ausweis als Sicherheit hinterlegen. Diese Spielplätze tragen in der Regel ausgefallene Pups- und Popelnamen, wobei sich der Indoor-Spielplatz Pups im Westen befindet und die Popelbühne im Osten. Diese Namen sind nicht wörtlich zu nehmen, sondern bloß als Hinweis auf eine antitotalitäre Erziehung zu verstehen.
Frauenmode in Berlin
In meiner Heimat, der Sowjetunion, legten die Frauen unglaublich viel Wert auf ihr Aussehen. Selbst wenn sie nur kurz einkaufen gehen wollten, verbrachten sie eine Stunde vor dem Spiegel, bevor sie das Haus verließen. Dabei war es in der Sowjetunion um die Frauenmode nicht gut bestellt. Es mangelte an Vorbildern und Konsummöglichkeiten. In den Frisörsalons hingen Musterfotos von irgendwelchen Kolchosbäuerinnen, die während der Ernte aufgenommen worden waren. Die Frisur, die vom Staat als modisch empfohlen wurde, sah aus wie ein Klumpen auf dem Kopf und wurde im Volksmund verächtlich als Läusehaus bezeichnet. Ein kultureller Austausch mit dem Ausland fand bei uns nicht statt, von der westlichen Konsumwelt waren wir abgeschnitten. Deswegen waren die Menschen allem Westlichen gegenüber sehr aufmerksam und reagierten auf die kleinsten Anzeichen westlicher Mode.
Einmal trat die französische Sängerin Mireille Mathieu mit dem Lied »Ciao Bambino« im Sowjetfernsehen auf, danach legte sich halb Moskau eine Mireille-Mathieu-Frisur zu. Die Frisöre wurden dauernd mit der gemeinen Frage belästigt: »Kannst du überhaupt die Haare wie bei Mireille Mathieu schneiden?«
Nach kurzer Zeit konnten alle Frisöre die von ihnen verlangte »Fasson« mit
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