Ich bin kein Berliner
ständig in der hässlichen sowjetischen Unterwäsche herum: knielange Satinschlüpfer und weiße Unterhemden. Das war für ihre Frauen kein schöner Anblick. Sie versuchten, die Männer zu einem Spaziergang zu animieren. Die Außentemperatur konnte aber der Staat nicht regeln, es war daher meistens saukalt. In einem herkömmlichen Mantel hätte man nach zwanzig Minuten den Geist aufgegeben. Außerdem waren Winterklamotten in den Geschäften sehr teuer und kaum zu finden. Deswegen bemühte sich jeder an seinem Arbeitsplatz, Arbeitskleidung aufzutreiben: schwarze oder blaue Wattejacken und Filzstiefel in Übergrößen – davon gab es mehr als genug.
Das Modebewusstsein der sowjetischen Männer entfaltete sich nicht durch den Erwerb besonders ausgefallener Klamotten, sondern durch die Art des Tragens. Selbst in den gleichen Sachen sah der eine schick und teuer und der andere wie eine Lusche aus. Das schickste Kleidungsstück der Männer war jedoch die Pelzmütze. Diese Mützen erzählten mehr über ihre Träger, als diese selbst von sich wussten – Karrierestand, politische Überzeugung, finanzielle Möglichkeiten. Die Polizisten und Armeeoffiziere trugen einen so genannten Fischpelz – Mützen aus Kunststoff. Die jungen Streber hatten Kaninchen auf dem Kopf, die Angestellten der mittleren Ebene einen Hund, ihre Chefs den Wolf, Parteibonzen trugen Nerzmützen, und die Greise auf der hohen Tribüne hatten bescheidene Lammfellmützen auf. Doch Kenner wussten, dass es bei denen auf die Innenseite ankam, die manchmal geradezu unbezahlbar war.
In den Achtzigerjahren wurde unsere Männermode durch Importwaren aus den sozialistischen Bruderländern beeinflusst. Es kamen die ostdeutschen »Präsentanzüge«, deren chemische Zusammensetzung bis heute geheim ist. Richtig verschwitzt konnte ein solcher Anzug von allein auf dem Boden stehen. Gleichzeitig aber löste sich der Stoff vollkommen auf, wenn man ihm mit einer Zigarette zu nahe kam.
Die Vorreiter in Sachen Männermode in unserem sozialistischen Lager waren jedoch die Ungarn. Wegen der ungarischen Cowboystiefel, der Turnschuhe und Bananenhosen, in Ostdeutschland »Karotte« genannt, übernachteten die Leute vor den Türen des großen Kaufhauses Der Sportsfreund in der Nähe unseres Hauses. Die besonders Schlauen kombinierten dann verschiedene Moderichtungen: Eine Wattejacke und dazu Cowboystiefel war zum Beispiel der Hammer in unserem Bezirk.
Viele Gäste aus dem Westen zeigten sich von unserer Mode beeindruckt. Als zum Beispiel Michael Jackson 1987 zu seinem ersten Konzert nach Moskau kam, wollte er nach einem Spaziergang durch die Stadt partout seine ganze Crew in Wattejacken und Filzstiefeln auf der Bühne sehen. Danach reiste er in dieser Uniform einmal um die Welt und machte die sowjetische Mode im Ausland bekannt. Sie hätte dort unter Umständen großen Erfolg haben können, dafür aber war es bereits zu spät. Mit dem Fall des Sozialismus wurde die Produktion von Wattejacken und Filzstiefeln drastisch reduziert und schließlich eingestellt. Die Bevölkerung musste sich den neuen kapitalistischen Verhältnissen anpassen, wobei sie sich prompt in Arm und Reich teilte. Der starke Westwind pumpte die ausländischen Konsumgüter ins Land, bei denen für jeden etwas dabei war. Die Armen bekamen unbegrenzten Zugang zu wiederauffüllbaren Feuerzeugen, Mickymaus-Aufklebern und Plastiktüten mit nackten Frauen darauf. Die Reichen bekamen Tennissocken für fünfhundert Dollar das Paar, fuchsiafarbene Anzüge und riesengroße Handys, im Volksmund »Röhren« genannt, die man immer in der Hand oder vor sich auf dem Tisch liegen hatte, um damit protzen zu können. Der neureiche russische Schick sollte den Eindruck von Reichtum vermitteln, deswegen waren bunte und große Sachen angesagt. Heute ist die russische Männermode viel bescheidener geworden. Sie ähnelt der deutschen, obwohl hier die Geschmäcker je nach Postleitzahl sehr unterschiedlich sind.
In Deutschland erinnern mich die Schwaben an die neureiche russische Art. Besonders die jungen Stuttgarter sind sehr aufgepeppt. Sie experimentieren gerne mit Klebstoffen im Haar, mit Lila und Gold. Ich weiß nicht, wo sie diese Sachen hernehmen, vielleicht kaufen sie in Russland ein. In München tragen junge Menschen dagegen gerne weiße Hemden und schwarze Anzüge. Das soll wahrscheinlich Unabhängigkeit signalisieren. In Bremen ist die Männermode punkig: Lederhosen, dicke Ohrringe und selbst gedrehte Zigaretten.
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