Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
betraten, hatte Dr. Kayani sie gewarnt: »Ihre Tochter, die Sie gleich sehen werden, ist erst zu zehn Prozent wiederhergestellt. 90 Prozent des Weges liegen noch vor ihr.« Sie wussten aber nicht, dass die eine Hälfte meines Gesichts noch immer gelähmt war und ich nicht richtig lächeln konnte. Mein linkes Auge war geschwollen, die Hälfte meines Haars war abrasiert und mein Mund war schief. Wenn ich versuchte zu lächeln, sah es eher so aus, als schnitte ich eine Grimasse. Es war, als hätte mein Gehirn vergessen, dass ich noch eine linke Seite hatte. Ich war auf einem Ohr taub, und auch meine Stimme hatte sich verändert. Ich redete in einer Art Babysprache, als sei ich ein kleines Mädchen.
Meine Eltern und Brüder hatte man in einem Studentenwohnheim untergebracht, weil man davon ausging, dass es wohl besser sei, sie nicht im Krankenhaus einzuquartieren, wo sie möglicherweise ständig von Journalisten belagert würden. Die Krankenhausleitung wollte uns in dieser kritischen Phase meiner Genesung so gut wie möglich schützen. Meine Mutter, mein Vater und meine beiden Brüder hatten nicht viel mehr dabei als die Kleider, die sie am Leib trugen, und das, was Shizas Mutter ihnen mitgegeben hatte, als sie am 9 . Oktober das Swat-Tal verließen. Nicht ahnend, dass sie nie zurückkehren würden.
Als meine Eltern dann im Wohnheim waren, weinten sie wie die Kinder. Ich war immer ein fröhliches Kind gewesen. Mein Vater pflegte seinen Freunden mit von Stolz geschwellter Brust gern von meinem »himmlischen Lächeln«, meinem »engelsgleichen Lachen« zu erzählen. Jetzt klagte er: »Ihr wunderschönes ebenmäßiges Gesicht, ihr Strahlen, alles verschwunden. Sie hat ihr Lächeln und ihr Lachen verloren. Die Taliban sind gemeine Menschen, sie haben ihr Lächeln gestohlen«, fügte er hinzu. »Du kannst einem anderen Menschen Augen spenden oder einen Teil der Lunge, doch das Lächeln kannst du ihm nicht zurückgeben.«
Das Hauptproblem war mein verletzter Gesichtsnerv. Die Ärzte waren nicht sicher, ob er vollständig durchtrennt oder nur beschädigt war und sich daher regenerieren würde.
Ich versicherte meiner Mutter, mir sei es egal, ob mein Gesicht symmetrisch sei. Dabei hatte ich ständig so viel Wert auf mein Aussehen gelegt. Wie viel Aufhebens hatte ich um meine Haare gemacht! Aber wenn man dem Tod ins Auge geblickt hat, verändern sich die Maßstäbe. »Es ist nicht wichtig, ob ich richtig lächeln oder blinzeln kann«, sagte ich. »Ich bin immer noch ich, Malala. Wichtiger ist, dass Gott mir das Leben geschenkt hat.«
Doch jedes Mal, wenn meine Mutter mich im Krankenhaus besuchte und ich zu lächeln versuchte, verdüsterte sich ihr Gesicht, als fiele ein Schatten darüber. Sie war wie mein Spiegel, nur mit einem gegensätzlichen Abbild – wenn auf meinem Gesicht ein Lachen stand, trat in ihres der Ausdruck der Qual. Mein Vater sah meine Mutter an, in deren Augen die Frage zu lesen war: »Was ist aus Malala geworden? Dem Mädchen, das ich zur Welt gebracht habe und das 15 Jahre lang lächelte?«
Eines Tages fragte mein Vater sie geradeheraus: »Pekai, sag mir die Wahrheit: Glaubst du, ich bin schuld?« – »Nein, Khaista«, antwortete sie. »Du hast Malala schließlich nicht zum Stehlen oder Töten geschickt oder zu Verbrechen angestiftet. Ihr habt für eine gute Sache gekämpft.«
Trotzdem hatte mein Vater Angst, dass ich künftig bei jedem Lächeln an die Schüsse erinnert werden würde.
Das Lächeln war aber nicht die einzige Veränderung, die sie an mir feststellten. Als wir noch im Swat lebten, war ich ziemlich dünnhäutig gewesen. Ich weinte beim geringsten Anlass. Im Krankenhaus in Birmingham klagte ich selbst dann nicht, wenn ich starke Schmerzen hatte. Nur einmal, als es mir wirklich elend ging, sagte ich: »Aba, ich habe solche Schmerzen.« Daraufhin sahen meine Eltern so unglücklich aus, als spürten sie selbst den Schmerz, und ich wünschte, ich hätte den Mund gehalten.
(Copyright © University Hospitals Birmingham NHS Foundation Trust; mit freundlicher Genehmigung des Queen Elizabeth Hospital in Birmingham)
Im Krankenhaus lese ich den Zauberer von Oz.
Das Krankenhaus ließ auch weiterhin keine Besucher zu mir, obwohl es zahlreiche Anfragen gab. Ungestört sollte ich mich auf meine Genesung konzentrieren können. Vier Tage nach Ankunft meiner Eltern suchten drei Minister das Krankenhaus auf, sie stammten aus den Ländern, die mir geholfen hatten: Rehman Malik, der damalige
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