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Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...

Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...

Titel: Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malala Yousafzai
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sehr naturverbunden. Ich liebte die satte Erde, das Grün der Pflanzen, die Feldfrüchte, die Büffel und die gelben Schmetterlinge, die beim Gehen um mich herumflatterten.
    Das Dorf war sehr arm, doch wenn wir ankamen, wartete die gesamte Familie mit einem Festmahl auf, wie sie es für jeden Gast bereitet hätte. Es gab Schüsseln mit Huhn, Reis, heimischem Spinat und scharf gewürztem Hammelfleisch, alles von den Frauen über offenem Feuer gekocht, danach folgten Platten mit knackigen Äpfeln, Gelbkuchenscheiben und ein großer Kessel Tee mit Milch.
    Kein Kind hatte Spielsachen oder Bücher. Die Jungen spielten im Rinnstein Kricket, und der Ball bestand aus Plastiktüten, die mit Gummibändern zusammengebunden waren.
    Das Dorf war ein vergessener Ort. Wasser wurde von der Quelle geholt, es gab keinen Strom bis auf den aus unserem provisorischen Wasserkraftwerk. Die wenigen Betonhäuser hatten Familien gebaut, deren Söhne oder Väter sich in den Bergwerken im Süden verdingt hatten oder als Bauarbeiter in den Golf gegangen waren, von wo aus sie Geld nach Hause schickten. Von den vierzig Millionen Paschtunen leben zehn Millionen fern der Heimat. Mein Vater sagte, es sei traurig, dass sie nie zurückkehren könnten, weil sie fortwährend arbeiten müssten, um ihren Familien den neuen Lebensstil zu ermöglichen. Es gab viele Familien ohne Männer. Sie kamen nur einmal im Jahr nach Hause, und gewöhnlich kam nach neun Monaten ein weiteres Kind zur Welt.
    Über die Hügel verstreut waren die Häuser aus Flechtwerk mit Lehm, und bei Überschwemmungen fielen sie oft in sich zusammen. Zuweilen erfroren Kinder im Winter. Es gab kein Krankenhaus. Nur Shahpur hatte eine Klinik, und wenn in den anderen Dörfern jemand krank wurde, mussten seine Angehörigen ihn auf einer Holztrage, die wir scherzhaft »Shangla-Rettungsdienst« nannten, dorthin bringen. War es etwas Ernstes, musste er die lange Busfahrt nach Mingora machen, es sei denn, er hatte das Glück, jemanden zu kennen, der ein Auto besaß.
    Politiker tauchten nur auf, wenn Wahlen anstanden. Sie versprachen Straßen, Elektrizität, sauberes Trinkwasser und Schulen, sie gaben den Interessenvertretern Geld, die dann ihren Gemeinden nahelegten, wen sie zu wählen hatten. Natürlich wiesen sie nur die Männer an – Frauen gehen in unserer Region nicht wählen. Dann verschwanden die Politiker nach Islamabad, falls sie für die Nationalversammlung aufgestellt waren, oder nach Peshawar für die Provinzversammlung, und wir hörten nie wieder von ihnen oder erlebten, dass sie ihre Versprechungen hielten.
    Meine Kusinen machten sich wegen meiner städtischen Gewohnheiten über mich lustig. Ich lief nicht gern barfuß. Ich las Bücher, und ich hatte einen anderen Akzent und benutzte Slang-Ausdrücke aus Mingora. Meine Kleider waren oft gekauft und nicht selbstgeschneidert wie ihre. Fragten mich meine Verwandten: »Möchtest du uns ein Hähnchen braten«, sagte ich: »Nein, das Tier ist unschuldig, wir sollten es nicht töten.«
    Sie hielten mich für modern, weil ich aus der Stadt kam. Sie konnten nicht wissen, dass Leute aus Islamabad, sogar aus Peshawar, mich für schrecklich rückständig gehalten hätten.
    Manchmal machten wir einen Familienausflug in die Berge, manchmal hinunter an den Fluss. Es war ein großer Strom, zu tief und zu reißend, um ihn zu durchqueren, wenn der Schnee im Sommer schmolz.
    Die Jungen angelten mit Regenwürmern, die wie Perlen aufgereiht an einer Schnur waren. Die Schnur wiederum hing an einem langen Stock. Einige pfiffen, weil sie glaubten, das zöge die Fische an. Es waren keine besonders schmackhaften Fische; ihre Mäuler sind sehr rauh und schwielig. Wir nannten sie
chaqwartee.
    Manchmal gingen wir Mädchen mit Töpfen voll Reis und mit Limonade zum Picknicken an den Fluss hinunter. Am liebsten spielten wir Hochzeit. Wir bildeten zwei Gruppen, jede stellte eine Familie dar, und dann musste jede Familie ein Mädchen versprechen, so dass wir eine Eheschließung vornehmen konnten. Alle wollten mich in ihrer »Familie« haben, weil ich aus Mingora war und ihrer Meinung nach sehr modern. Das schönste Mädchen war Tanzela, und wir vergaben sie oft an die andere Gruppe, weil sie so unsere Braut sein konnte.
    Das Wichtigste am Hochzeitsspiel war der Schmuck. Wir versahen die Braut mit Ohrringen, Armreifen und Halsketten und sangen dabei Bollywood-Lieder. Anschließend schminkten wir sie mit dem Make-up, das wir von unseren Müttern stibitzt hatten.

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