Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
Wir tauchten ihre Hände in heiße Natronlauge, damit sie eine helle Farbe annahmen, und malten ihre Nägel mit Henna rot. War sie hergerichtet, fing die Braut zu weinen an, und wir strichen ihr übers Haar und versuchten sie zu überreden, keine Angst zu haben. »Heiraten gehört zum Leben«, sagten wir. »Sei nett zu Schwiegermutter und Schwiegervater, damit sie dich gut behandeln, sorge für deinen Mann und sei glücklich.«
Gelegentlich wurden wirkliche Hochzeiten mit üppigen Festmählern begangen, die sich über Tage erstreckten, was die Familie ruinierte oder zumindest in Schulden stürzte. Die Bräute trugen kostbare Kleider und waren mit Gold geschmückt; beide Seiten der Familie schenkten Halsketten und Armbänder als Mitgift. Ich habe gelesen, dass Benazir Bhutto einmal erklärte, sie werde bei ihrer Hochzeit nur Glasarmbänder tragen, um ein Beispiel zu geben. Doch die Tradition, die Braut mit echtem Gold zu schmücken, blieb bestehen.
Manchmal wurde ein Sperrholzsarg zurück ins Dorf gebracht, mit einem Verunglückten aus den Minen. Dann versammelten die Frauen sich im Haus der Witwe oder Mutter des Toten und begannen die Totenklage, die durch das ganze Tal schallte. Ich bekam dabei stets eine Gänsehaut.
Abends war es sehr dunkel im Dorf, nur Öllampen flackerten in den Häusern auf den Hügeln. Von den älteren Frauen hatte keine einzige eine Schulbildung, doch alle erzählten Geschichten und sangen Tapas. Meine Großmutter machte das besonders gut, und ihre Couplets handelten gewöhnlich von Liebe oder davon, ein Paschtune zu sein: »Kein Paschtune verlässt sein Land aus freiem Willen«, lautete eins. »Entweder verlässt er es aus Armut oder er verlässt es aus Liebe.«
Unsere Tanten ängstigten uns mit Schauergeschichten wie der von Shalgwatay, dem zwanzigfingerigen Mann, und sie warnten uns, er werde in unseren Betten schlafen und wir würden vor Entsetzen schreien. In Wahrheit hat jeder von uns zwanzig Finger, denn auf Paschtu haben wir ein und dasselbe Wort für Zeh und Finger.
Demnach waren wir alle zwanzigfingerige Menschen, aber das haben wir Kinder nicht begriffen.
Um uns zum Waschen anzuhalten, erzählten die Tanten uns von einer unheimlichen Frau namens Shashaka, die mit schmierigen Händen und stinkendem Atem zu einem käme, wenn man nicht badete oder sich nicht die Haare wusch, und einen in eine schmutzige Frau mit Haaren wie Rattenschwänze und voller Ungeziefer verwandeln würde. Vielleicht würde sie einen sogar töten.
Im Winter, wenn die Eltern nicht wollten, dass die Kinder hinaus in den neu gefallenen Schnee gingen, berichteten sie von einem Löwen oder Tiger, der immer den ersten Schritt im Schnee machen musste, weil die Tiere sonst zornig würden und von den Bergen kämen, um uns zu fressen. Erst wenn der Löwe oder Tiger seine Fußabdrücke hinterlassen habe, dürften wir nach draußen.
Als wir älter wurden, fanden wir das Dorf langweilig. Der einzige Fernseher stand bei einer der wohlhabenderen Familien im Hujra. Niemand hatte einen Computer.
Die Frauen im Dorf verbargen ihr Gesicht, wenn sie das Purdah -Quartier verließen, und sie durften keine Männer treffen oder sprechen, die keine nahen Verwandten waren. Ich trug modischere Kleider und verhüllte mein Gesicht auch als Teenager nicht. Ein Vetter von mir wurde zornig deswegen und fragte meinen Vater: »Warum ist sie nicht verhüllt?« Er antwortete: »Sie ist meine Tochter. Kümmere du dich um deine eigenen Sachen.« Aber manche Verwandten meinten, man würde über uns reden, es hieße, wir befolgten den
Paschtunwali
nicht korrekt.
Ich bin sehr stolz darauf, eine Paschtunin zu sein, aber manchmal denke ich, unser Ehren- und Verhaltenskodex hat eine Menge zu verantworten, besonders was die Behandlung der Frauen betrifft. Eine Frau namens Shahida, die für uns arbeitete und drei kleine Töchter hatte, erzählte mir, dass ihr Vater sie an einen alten Mann verkauft hatte, der schon eine Frau hatte, aber eine jüngere wollte. Da war sie gerade mal zehn Jahre alt.
Wenn Mädchen verschwanden, dann nicht immer, weil sie verheiratet worden waren. Zum Beispiel die hübsche fünfzehnjährige Seema. Alle wussten, dass sie in einen Lehrer verliebt war. Manchmal kam er vorbei, und sie sah ihn unter ihren langen dunklen Wimpern hervor an, um die alle Mädchen sie beneideten. In unserer Gesellschaft bringt ein Mädchen, das mit einem Mann flirtet, Schande über die Familie. Aber für Männer ist das in Ordnung! Später sagte
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