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Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...

Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...

Titel: Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malala Yousafzai
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anfangen. Später holte man für mich einen Atlas, und ich sah, dass Birmingham in England liegt.
    Ich wusste nicht, was passiert war. Die Krankenschwestern erzählten nichts. Sogar mein Name fehlte – auf dem Schild am Fußende meines Bettes war ich VIP 519 . War ich überhaupt noch Malala? Mir tat der Kopf so weh, dass selbst die Spritzen, die ich bekam, den Schmerz nicht lindern konnten. Aus meinem linken Ohr lief immer noch Blut und meine linke Hand fühlte sich komisch an. Ärzte und Krankenschwestern gingen ein und aus. Die Schwestern stellten mir Fragen. Sie sagten, ich solle für jedes Ja zweimal blinzeln. Niemand sagte mir, was vorging und wer mich in dieses Krankenhaus gebracht hatte. Vielleicht wussten sie es selbst nicht. Ich spürte, dass die linke Seite meines Gesichts irgendwie nicht richtig funktionierte. Wenn ich Ärzte oder Krankenschwestern zu lange ansah, begann mein linkes Auge zu tränen. Außerdem schien ich auf dem linken Ohr nichts zu hören. Und mein Kiefer ließ sich nicht richtig bewegen. Ich bedeutete den Leuten, sie sollten doch an meine rechte Seite kommen, wenn sie mit mir reden wollten.
    Eine nette Dame, die ich Dr. Fiona nennen durfte, schenkte mir einen weißen Teddybären. Sie sagte, ich solle ihn Junaid nennen, später würde sie mir erklären, warum. Ich konnte mit dem Namen Junaid nichts anfangen und nannte ihn Lily. Außerdem brachte sie mir ein rosarotes Notizbuch, in das ich schreiben konnte. Die ersten beiden Fragen, die ich mit meinem Stift notierte, lauteten: »Warum habe ich keinen Vater?« und »Mein Vater hat kein Geld. Wer wird das bezahlen?« – »Dein Vater ist in Sicherheit«, antwortete sie. »Er ist in Pakistan. Und wegen der Kosten mach dir keine Sorgen.« Ich stellte jedem, der ins Zimmer kam, dieselben Fragen. Die Antworten waren immer die gleichen. Trotzdem war ich nicht überzeugt. Ich hatte keine Ahnung, was mit mir passiert war, und traute niemandem. Wenn es meinem Vater gutging, weshalb war er dann nicht hier? Ich glaubte nicht, dass meine Eltern in Sicherheit waren.
    In jenen ersten Tagen driftete mein Verstand wieder und wieder in eine Traumwelt ab. Ständig blitzten Bilder in meinem Kopf auf: Männer, die um mein Bett standen. So viele, dass ich sie gar nicht zählen konnte. Ich fragte andauernd: »Wo ist mein Vater?« Ich hatte den Eindruck, dass man auf mich geschossen hatte, aber ganz sicher war ich mir nicht. Waren dies nun Träume oder Erinnerungen?
    Das Geld wurde richtiggehend zur Obsession. Ich wusste, dass die Preisgelder in die Schule investiert worden waren und in ein Grundstück in unserem Dorf in Shangla. Immer wenn ich sah, wie die Ärzte sich unterhielten, dachte ich, sie würden darüber sprechen, dass Malala kein Geld hat. Dass Malala ihre Behandlung nicht bezahlen kann. Einer von ihnen war ein Pole, der immer traurig schaute. Ich dachte, er sei der Besitzer des Krankenhauses und unglücklich, weil ich die Therapie nicht begleichen konnte. Also winkte ich der Schwester und schrieb in mein Notizbuch: »Wieso sind Sie traurig?« Er antwortete: »Nein, ich bin gar nicht traurig.« – »Wer wird das bezahlen?«, schrieb ich. »Wir haben kein Geld.« – »Mach dir keine Sorgen, deine Regierung trägt die Kosten«, sagte er. Von da an lächelte er immer, wenn er mich sah.
    Ich versuche ja immer, Lösungen zu finden, daher dachte ich, ich könne vielleicht an den Empfang im Krankenhaus gehen und mir ein Telefon ausborgen, um meine Mutter und meinen Vater anzurufen. Doch mein Verstand sagte mir: »Du hast doch gar kein Geld, um zu telefonieren, und die Ländervorwahl weißt du auch nicht.« Dann dachte ich: Du musst aufstehen. Du musst arbeiten und Geld verdienen, um ein Telefon zu kaufen und deinen Vater anzurufen, damit wir alle wieder zusammen sein können.
    In meinem Kopf war alles durcheinander. Ich bin bis heute der festen Überzeugung, dass der grüne Teddybär, den ich geschenkt bekommen hatte, später gegen einen weißen ausgetauscht wurde, auch wenn man mir wieder und wieder sagte, es hätte nie einen grünen Teddy gegeben. Möglicherweise täuschte mich auch das Grün der Wände in der Intensivstation. Ständig vergaß ich die englischen Wörter. Meine erste Botschaft an die Krankenschwestern war, dass ich einen »Draht für die Zähne« bräuchte. Ich hatte das Gefühl, dass etwas zwischen meinen Zähnen steckte, doch das englische Wort für »Zahnseide« hatte ich vergessen. In Wirklichkeit waren meine Zähne ganz in

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