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Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...

Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...

Titel: Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malala Yousafzai
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Ordnung, nur die Zunge war taub. Wirklich ruhig war ich nur, wenn Rehanna bei mir war. Sie sprach Gebete zur schnelleren Heilung, und wenn ich konnte, murmelte ich einige der Worte mit. Am Ende brachte ich immer ein
amin
heraus, das ist unser Begriff für »Amen«.
    Der Fernseher in meinem Zimmer blieb ausgeschaltet, nur »Masterchef« durfte ich sehen. Das hatte ich nämlich auch in der Mingora immer angeguckt. Erst später erfuhr ich, dass niemand mir eine Zeitung mitbringen oder irgendetwas sagen durfte, weil die Ärzte Angst hatten, es würde mich traumatisieren. Ich hatte Angst, dass mein Vater tot war. Schließlich brachte Dr. Fiona mir eine pakistanische Zeitung von der Vorwoche mit, in der ein Foto von meinem Vater abgedruckt war. Auf dem Bild unterhält er sich mit General Kayani. Neben ihm sitzen eine verschleierte Frau und mein Bruder. Ich konnte von der Frau nur ihre Füße sehen. »Das ist meine Mutter!«, schrieb ich.
    Später an diesem Tag erschien Dr. Javid mit seinem Mobiltelefon. »Wir werden deine Eltern anrufen«, sagte er. Meine Augen leuchteten vor Freude auf. »Du wirst nicht weinen, du wirst nicht jammern«, sagte er zu mir. Er war vielleicht ein wenig ruppig, aber auch sehr nett, als würde er mich schon ewig kennen. »Ich gebe dir jetzt das Handy, und du wirst ganz stark sein.« Ich nickte. Er wählte die Nummer, sagte etwas, dann reichte er mir das Telefon. Ich hörte die Stimme meines Vaters. Wegen des Schlauches in meinem Hals konnte ich nicht sprechen. Aber ich war so froh, ihn zu hören. Wegen meines Gesichts konnte ich nicht lächeln, aber mir war, als würde ich innerlich lächeln. »Ich komme bald«, versprach mein Vater mir. »Jetzt ruh dich aus, und in zwei Tagen sind wir bei dir.« Später erzählte er mir, dass der Arzt ihm ebenfalls befohlen hatte, nicht zu weinen und zu jammern, weil das uns alle nur trauriger gemacht hätte, als wir ohnehin schon waren. Dr. Javid wollte, dass wir füreinander stark sind. Der Anruf dauerte nicht lange, weil meine Eltern mich nicht ermüden wollten. Meine Mutter segnete mich mit Gebeten. Ich dachte immer noch, der Grund, weshalb sie nicht bei mir waren, sei, dass mein Vater kein Geld für die Behandlungskosten hatte. Er war bestimmt noch in Pakistan, um unser Land in seinem Dorf zu verkaufen und auch unsere Schule. Aber unser Grundstück war klein, und ich wusste, dass die Schulgebäude nur angemietet waren, was sollte er also verkaufen? Vielleicht bat er reiche Leute um Kredit.
    Selbst nach diesem Anruf waren meine Eltern immer noch besorgt. Sie hatten meine Stimme ja nicht gehört und waren weiterhin von der Außenwelt abgeschnitten. Zwar wurden sie von allen möglichen Leuten mit den neuesten Nachrichten versorgt, doch diese Berichte fielen recht widersprüchlich aus. Einer der Besucher war Generalmajor Ghulam Qamar, der Armeechef im Swat-Tal. »Wir haben gute Neuigkeiten aus England«, sagte er zu meinem Vater. »Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass unsere Tochter überlebt hat.« Er sagte »unsere«, weil ich mittlerweile als Tochter der Nation galt. Und er berichtete meinem Vater von den Hausdurchsuchungen, die die Armee im Swat-Tal durchführte, um die Attentäter zu fangen. Außerdem würden die Grenzen streng überwacht. Die Leute, die uns überfallen hatten, kamen angeblich aus einer Gruppe von 22 Taliban, die auch schon Zahid Khan angegriffen hatten. Das war der Freund meines Vaters, der zwei Monate zuvor niedergeschossen worden war. Mein Vater sagte zwar nichts, doch er kochte vor Wut. Hatte die Armee nicht immer behauptet, es gebe keine Taliban in Mingora? Und nun hieß es, dass 22 militante Kämpfer mindestens zwei Monate lang in der Stadt gelebt hätten. Außerdem behauptete man abermals, Zahid Khan sei wegen einer Familienfehde angeschossen worden und die Taliban hätten nichts mit dem Attentat auf ihn zu tun. Am liebsten hätte mein Vater gefragt: »Sie wussten, dass Taliban in unserem Tal waren? Sie wussten, dass sie meine Tochter töten wollten? Und Sie haben nichts unternommen?« Aber natürlich war ihm klar, dass das sinnlos war.
    Doch der General hatte noch andere Neuigkeiten. Er sagte meinem Vater, ich hätte zwar das Bewusstsein wiedererlangt, doch ich könne noch nicht richtig sehen. Mein Vater war verblüfft. Wieso besaß der General Informationen, die er nicht hatte? Er hatte Angst, ich würde blind werden. Seine schöne Tochter mit dem strahlenden Gesicht würde ihr Leben vielleicht in Dunkelheit

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