Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
für Präsident Zardari eine großartige Gelegenheit, ein für alle Mal die Kontrolle über den ISI durchzusetzen. Vielleicht konnte die Regierung Szenarien, wie wir sie im Swat erlebt hatten, endlich ein Ende machen. Dort hatten Kontrollpunkte von Armee und Taliban unbehelligt nebeneinander existiert. Dort waren militante Kämpfer wie Fazlullah ungeschoren davongekommen. Doch der ISI blieb so mächtig wie eh und je.
Wir merkten, dass amerikanische Politiker außer sich vor Wut waren, weil Bin Laden die ganze Zeit direkt vor unserer Nase gelebt hatte, während sie glaubten, er würde sich in einer Höhle versteckt halten. Sie beschwerten sich, weil sie uns im Laufe von acht Jahren 20 Milliarden Dollar überwiesen hatten und sich jetzt die Frage stellte, auf wessen Seite wir standen. Manchmal hatte man das Gefühl gehabt, als ginge es nur ums Geld. Das meiste von den 20 Milliarden Dollar war in die Armee geflossen. Die Menschen hatten davon nichts gesehen.
***
Ein paar Monate später, im Oktober 2011, erzählte mir mein Vater, er habe eine E-Mail erhalten, in der stand, ich sei eine von fünf Nominierten für den Internationalen Kinder-Friedenspreis der Kids Rights Foundation, einer Kinderrechtsorganisation mit Sitz in Amsterdam. Mein Name war von Erzbischof Desmond Tutu aus Südafrika vorgeschlagen worden. Er war mit seinem Kampf gegen die Apartheid einer der großen Helden meines Vaters. Aba war enttäuscht, als ich den Preis nicht bekam, aber ich machte ihm klar, dass wir schließlich keine Organisation hinter uns haben, die praktische Dinge tut, sondern immer nur mit Worten für unsere Belange eintraten.
Kurz danach wurde ich vom Ministerpräsidenten der Provinz Punjab, Shahbaz Sharif, eingeladen, in Lahore auf einer Gala zum Thema Bildung zu sprechen. Ich mochte Sharif. Er hatte viel für die Bildung getan, ein Netzwerk von Schulen geschaffen, die er »Dänische Schulen« nannte, und Schüler mit Gratis-Laptops ausgestattet. Allerdings zeigten sie sein Konterfei als Bildschirmschoner, wenn man den Rechner hochfuhr.
Um Schüler in sämtlichen Provinzen zu motivieren, vergab er Geldpreise an die Mädchen und Jungen, die in den Prüfungen besonders gut abschnitten. Ich erhielt einmal einen Scheck über eine halbe Million Rupien, etwa 3500 Euro, für meine Kampagne für die Rechte der Mädchen.
Zur Gala erschien ich in Rosarot, und zum ersten Mal sprach ich öffentlich darüber, wie wir uns dem Taliban-Erlass widersetzt hatten und weiter heimlich zur Schule gegangen waren. »Ich kenne die Bedeutung von Schulbildung, weil mir meine Stifte und Bücher mit Gewalt genommen wurden«, sagte ich. »Doch die Mädchen im Swat haben vor niemandem Angst. Wir haben uns trotzdem weitergebildet.«
Dann sagte eines Tages eine meiner Klassenkameradinnen im Unterricht zu mir: »Du hast einen großen Preis gewonnen, und dazu 500000 Pakistanische Rupien!« Mein Vater stürmte kurz darauf in den Klassenraum, um mir zu erzählen, die Regierung habe mich mit dem ersten Nationalen Friedenspreis Pakistans ausgezeichnet. An dem Tag belagerten so viele Journalisten die Schule, dass sie sich regelrecht in ein Nachrichtenstudio verwandelte.
Die Preisverleihung fand am 20 . Dezember 2011 in der offiziellen Residenz des Premierministers statt, einem der großen weißen Gebäude auf dem Hügel am Ende der Constitution Avenue, die ich auf meiner ersten Reise nach Islamabad gesehen hatte. Inzwischen war ich daran gewöhnt, Politiker zu treffen, und ich war längst nicht mehr so nervös. Mein Vater wollte mir ein bisschen Angst einjagen und erzählte mir, Premierminister Gilani komme aus einer Familie von Heiligen. Nachdem er mir den Preis und den Scheck überreicht hatte, übergab ich ihm trotzdem eine lange Liste mit Forderungen.
Ich sagte ihm, wir wollten, dass unsere Schulen wiederaufgebaut werden, außerdem wäre für das Swat eine Mädchenuniversität anzustreben. Ich wusste, dass er meine Forderungen nicht ernst nehmen würde, und trug sie deshalb nicht mit allzu viel Nachdruck vor. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es wirklich einen Sinn hätte, ihn darum zu bitten. Eines Tages, so dachte ich, bin ich Politikerin, und dann kümmere ich mich selbst um diese Dinge.
Es wurde beschlossen, diesen Preis künftig jährlich an Kinder unter 18 zu verleihen. Mir zu Ehren wurde er »Malala-Preis« getauft. Ich merkte, dass mein Vater darüber nicht allzu glücklich war. Er ist wie die meisten Paschtunen ein bisschen abergläubisch.
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