Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
kamen in pakistanischen Gewahrsam. Die Amerikaner warfen Bin Ladens Leichnam ins Meer. Präsident Obama war überglücklich über diese Aktion, und wir sahen im Fernsehen die großen Feierlichkeiten vor dem Weißen Haus.
Zuerst dachten wir, die Regierung hätte von der US -Operation gewusst und sei sogar involviert gewesen. Doch wir erfuhren schon bald, dass die Amerikaner ihre Mission auf eigene Faust durchgeführt hatten. Das kam bei unserem Volk gar nicht gut an. Wir galten als Verbündete und hatten in ihrem Krieg gegen den Terror mehr Soldaten verloren als sie selbst. Die Navy Seals waren nachts in unser Land eingedrungen, im Tiefflug und mit extra leisen Helikoptern. Sie nutzten elektronische Störmaßnahmen, um den Radar zu blockieren. General Ashfaq Kayani und Präsident Zardari wurden erst nach dem Einsatz über die Mission informiert. Der Großteil der Armeeführung erfuhr aus den Fernsehnachrichten davon.
Die Amerikaner sagten, sie hätten keine Wahl gehabt. Niemand habe wirklich gewusst, auf wessen Seite unser eigener Geheimdienst sei. Deshalb habe die Gefahr bestanden, dass Bin Laden gewarnt worden wäre, bevor man ihn hätte ergreifen können.
Der Direktor der CIA sagte, Pakistan sei »entweder eingeweiht oder inkompetent. Keines von beiden ist eine gute Position.«
Mein Vater meinte, dies sei ein Tag der Schande. »Wie kann sich ein weltweit gesuchter Terrorist in Pakistan verstecken und unentdeckt bleiben?«, fragte er. Und viele andere stellten sich genau dieselbe Frage.
Es war verständlich, weshalb dann auch alle dachten, unser Geheimdienst musste von Bin Ladens Aufenthaltsort gewusst haben. Der ISI ist eine riesige Organisation, deren Agenten überall sind. Wie konnte er so nah der Hauptstadt leben – nur 90 Kilometer von Islamabad entfernt –, und das so lange? Mag sein, dass das beste Versteck immer das ist, wo einen jeder sehen kann, aber er hatte seit dem Erdbeben 2005 in diesem Haus gewohnt, und zwei seiner Kinder waren im Krankenhaus von Abbottabad zur Welt gekommen. Insgesamt hatte er sich in Pakistan neun Jahre aufgehalten. Vor Abbottabad war er in Haripur gewesen, und davor hatte er sich bei uns im Swat-Tal versteckt, wo er sich mit Khalid Scheich Mohammad traf, dem Chefplaner vom 11 . September.
Wie Bin Laden gefasst wurde, war eine Geschichte wie aus einem der Spionagefilme, die mein Bruder Khushal so liebt. Da er nicht entdeckt werden wollte, arbeitete er nur mit Kurieren, nicht mit Handys oder E-Mails. Die Amerikaner aber hatten einen seiner Kuriere identifiziert, das Nummernschild seines Autos registriert und ihn dann von Peshawar nach Abbottabad verfolgt. Danach überwachten sie mit einer gleichsam mit Röntgenblick ausgestatteten Riesendrohne sein Haus. Diese Drohne erspähte einen großen bärtigen Mann, der ständig das Grundstück abschritt. Die Amerikaner gaben ihm den Spitznamen »The Pacer«.
Die Menschen schienen wütender über das Eindringen der Amerikaner zu sein als über die Tatsache, dass der größte Terrorist der Welt auf unserem Grund und Boden gelebt hatte. In manchen Tageszeitungen stand die Geschichte zu lesen, die Amerikaner hätten Bin Laden schon vor Jahren getötet und seine Leiche eingefroren. Dann hätten sie den Leichnam in Abbottabad plaziert und die Razzia inszeniert, um Pakistan zu demütigen.
Wir bekamen immer mehr SMS mit der Aufforderung, auf die Straße zu gehen und dem Militär unsere Unterstützung zu demonstrieren. »Wir waren 1948 , 1965 und 1971 für euch da«, lautete eine dieser Nachrichten und nahm damit Bezug auf unsere drei Kriege mit Indien. »Nun steht an unserer Seite, da wir von hinten erdolcht werden.«
Aber es waren auch andere SMS im Umlauf, die sich über das Militär lustig machten. Man fragte sich, weshalb wir sechs Milliarden Dollar jährlich dafür ausgaben (siebenmal mehr, als in Bildung investiert wird), wenn es vier amerikanischen Hubschraubern gelang, unter unserem Radar durchzuschlüpfen. Und wenn die das konnten, was sollte dann die Inder gleich nebenan davon abhalten, es ihnen gleichzutun?
»Bitte nicht hupen, die Armee schläft«, lautete eine SMS , eine andere: »Pakistanischer Radar aus zweiter Hand zu verkaufen … erkennt keine US -Hubschrauber, empfängt aber Kabelfernsehen.«
General Kayani und General Ahmad Shuja Pasha, der Kopf des ISI , wurden vorgeladen, um vor dem Parlament auszusagen, was noch nie passiert war. Unser Land war erniedrigt worden, und wir wollten den Grund dafür wissen. Es war
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