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Ich bin Nummer Vier

Ich bin Nummer Vier

Titel: Ich bin Nummer Vier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lore Pittacus
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habe Angst. Ich fürchte auch, was Henri tun wird, wenn er es herausfindet. Nicht biologisch, aber in all seinen Absichten und Zielen ist er mein Vater. Ich liebe ihn und er liebt mich und ich will ihn nicht enttäuschen.
    Und während wir daliegen, erreicht meine Angst eine neue Ebene. Ich kann es nicht ertragen, dass ich nicht weiß, was der nächste Tag bringen wird, die Ungewissheit reißt mich entzwei. Es ist dunkel im Zimmer. Eine flackernde Kerze steht ein paar Meter entfernt auf dem Fenstersims. Ich hole tief Luft – das heißt, so tief, wie ich bei meinen angegriffenen Lungen kann.
    »Ist alles in Ordnung?«, fragt Sarah.
    Ich schlinge meine Arme um sie. »Du fehlst mir.«
    »Aber ich bin doch da.«
    »Das ist das Schlimmste: Wenn dir jemand fehlt, der direkt neben dir liegt.«
    »Du redest Quatsch.« Sie greift hoch, zieht meinen Kopf herunter und küsst mich, ihre zarten Lippen liegen auf meinen. Ich will nicht, dass sie aufhört. Solange sie mich küsst, ist alles gut. Ich würde ewig in diesem Zimmer bleiben, wenn ich könnte, für immer in ihren Armen.
    »Morgen«, sage ich.
    Sie schaut auf. »Was morgen?«
    »Keine Ahnung. Ich glaube, ich habe einfach Angst.«
    »Wovor?«
    »Ich weiß es nicht. Einfach Angst.«
    ***
    Nachdem Henri und ich Sarah nach Hause gebracht haben, gehe ich in mein Zimmer und lege mich da hin, wo sie zuvor gelegen hat. Die Laken riechen noch nach ihr. Heute Nacht werde ich nicht schlafen, es noch nicht einmal versuchen. Ich tigere durchs Zimmer. Als Henri zu Bett gegangen ist, laufe ich hinaus, setze mich an den Küchentisch und schreibe bei Kerzenlicht: über Lorien, über Florida, über das, was ich gesehen habe, als wir mit dem Training begannen – den Krieg, die Tiere, Kindheitsbilder. Ich hoffe auf eine Art Erleichterung, aber Fehlanzeige. Es macht mich nur noch trauriger.
    Als meine Hand sich vom Schreiben verkrampft, gehe ich auf die Veranda. Die kalte Luft erleichtert das Atmen. Der Mond ist fast voll, auf einer Seite hat er allerdings unmerklich abgenommen. In zwei Stunden geht die Sonne auf, dann beginnt ein neuer Tag mit Nachrichten vom Wochenende. Um sechs, manchmal um sechs Uhr dreißig fällt die Zeitung auf unsere Schwelle. Da werde ich schon unterwegs zur Schule sein, und wenn ich in den News sein sollte, werde ich mich weigern wegzuziehen, ohne Sarah noch einmal zu sehen, ohne Abschied von Sam.
    Ich gehe ins Haus, ziehe mich um und packe meine Tasche. Auf Zehenspitzen gehe ich hinaus, leise schließe ich die Tür hinter mir. Nach drei Schritten auf der Veranda höre ich ein Kratzen an der Tür. Ich öffne und Bernie Kosar kommt heraus. Gut, dann gehen wir zusammen.
    Wir laufen los, halten häufig an und horchen in die Stille. Die Nacht ist dunkel, aber nach einer Weile wächst ein blasser Schein am östlichen Himmel, da sind wir auch schon auf dem Gelände der Schule. Der Parkplatz ist leer, drinnen brennt kein Licht. Vor der Schule, vor dem Wandbild mit den Piraten, steht ein großer Stein, der von früheren Abschlussklassen bemalt worden ist. Darauf setze ich mich. Bernie Korsar liegt nicht weit entfernt im Gras. Ich hocke eine Stunde da, bevorder erste Wagen ankommt: ein Van, und ich rechne mit Hobbs, dem Hausmeister, der früh nach dem Rechten sieht, aber ich irre mich. Der Van fährt zum Eingang, der Fahrer steigt aus und lässt den Motor laufen. Er trägt einen Stapel Zeitungen, mit Schnüren zusammengebunden. Wir nicken einander zu, er wirft den Stapel vor den Eingang und fährt davon. Ich bleibe auf dem Stein sitzen und starre von Weitem verstohlen auf die Zeitungen. In Gedanken verfluche ich sie und drohe ihnen, falls sie die schlechten Nachrichten verbreiten, vor denen ich mich so fürchte.
    »Ich war am Samstag nicht in diesem Haus!«, behaupte ich laut – und komme mir sofort bescheuert vor. Seufzend springe ich vom Stein. »Also«, sage ich zu Bernie Kosar. »Das ist es, gut oder schlecht.«
    Er macht kurz die Augen auf und sofort wieder zu, dann schläft er auf dem kalten Boden weiter.
    Ich reiße die Verschnürung weg und nehme die oberste Zeitung. Der Brand steht auf der ersten Seite. Oben ist ein Foto von den verkohlten Überresten, es wurde im Morgengrauen aufgenommen und wirkt gespenstisch, Unheil verkündend – schwarze Asche vor nackten Bäumen und Gras, auf dem der Reif liegt. Und dann die Überschrift:
     

     
    Ich überfliege den Artikel, scanne ihn nach meinem Namen. Am Ende blinzle ich und schüttle den Kopf, um die Angst

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