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Ich bin schizophren und es geht mir allen gut

Titel: Ich bin schizophren und es geht mir allen gut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
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Technomissbrauch steht ihm im Gesicht, und zwar jener, der damit einhergeht, wenn man sein Bewusstsein mit chemischen Substanzen durch ein Hochgeschwindigkeitsleben ravt. Er schwitzte stark, sah aus wie ein in paranoidem Angstschweiß gebadeter Klischeeabtänzer. Ich würde mal sagen, er fühlte sich wegen der Dauerchemiedrogenzufuhr wie 85, ist aber vielleicht laut Ausweis erst Mitte zwanzig. Sein Blick war nicht zielgerichtet, dauernd schaute er sich um, als würde er verfolgt. "Gib ma 'ne Kippe!", wiederholte er sein Rauchbedürfnis erneut, diesmal etwas hibbeliger.
    Ich kramte meinen Tabak hervor und hielt ihm den hin. "Das ist doch keine Zigarette, das ist Gotteslästerung, Blasphemie, du Arschloch." Er begann eine Art Tanz um mich, dabei zuckte sein ganzer Körper wie bei einem epileptischen Anfall - vielleicht war es auch einer - und der junge Mann stand hinter mir und vor mir gleichzeitig. "Ich bin Gabbagott", brüllte er dann und verschiedene Köpfe blickten sich nach uns um. "Und alles gehört mir!" Dann beugte er sich zu mir runter und bat mich: "Drehsu mir eine." Ich nickte, auch ein wenig aus Angst vor seiner absoluten Uneinschätzbarkeit. Er schwitzte und begann einen Text: "Ich bin wirklich Gabbagott und alles gehört mir, alle Menschen, alle Tiere, selbst der Dom da vorne, meiner. Und auch der Himmel, alle Pflanzen und so, alles meins, denn ich bin Gabbagott."
    Ich drehte sachgerecht fertig und gab ihm das Ding in die Hand. Feuer gab ich ihm auch und er grinste mich aus zahnarztbehandlungsbedürftigem Mund an. Sog ein, atmete aus und sprach zu mir: "Du hast jetzt die einmalige Gelegenheit für die Länge dieser Zigarette dem allmächtigen Gabbagott einige Fragen zu stellen. Weißt du, es ist nicht nur so, dass mir alles gehört, ich weiß auch alles. Alles." Ich überlegte. Die allerpassendste Frage schien mir: "Sag mal, ist es nicht voll anstrengend und total ungesund, ein Leben mit 200 BPM zu leben? Ich mein, du kriegst ja gar nichts mehr mit." Gabbagott sah mich an, dann wieder an mir vorbei, dann blickte er mich wieder kurz verhuscht an wie ein Eichhörnchen, das eine Haselnuss gefunden hat, um dann nochmal an mir vorbeizuschauen, als sei hinter mir gerade das Reaktorunglück von Tschernobyl nachgespielt worden.
    Er saugte seine Kippe nass und flüsterte in einer sich überschlagenden Geschwindigkeit: "Ich bin Gabbagott und ihr werdet schon sehen, was euch passiert, wenn ihr nicht an mich glaubt, auch Gott gehört schon mir, der sitzt bei mir zu Hause und spült meine Teller. Ich bin Gabbagott, du bist nur ein Arschloch mit Buch." Dann stand er auf und rannte quer über den Domplatz und von fern hörte ich ihn noch schreien: "Ich bin Gabbagott, alles gehört mir! Mir allein!"
Ich aus der Sicht von Gabbagott (Hirninnenaufnahme)
    Moral: Wer sein Lebenstempo über seiner natürlichen Herzfrequenz ansetzt und es da auf Dauer verbleiben lässt, der endet in orangen Anziehsachen und ohne Würde an geweihten Orten - siehe Dalai Lama.
    Ich weiß noch: 21. Februar 2008. Ich war von freundlichen Menschen eingeladen worden, in einem kleinen Club in Leipzig zu lesen. Da das recht weit ist, sattelte ich mein Pferd schon sehr früh, um in den Morgenstunden aufzubrechen. Ich las noch jemanden auf, einen einsamen Cowboy mit Gitarre, der am Wegesrand lauerte und nichts Besseres zu tun hatte. Der steht ja öfter am Wegesrand und weiß nicht, was er mit den ganzen vierundzwanzig Stunden, die so ein Tag vorweist, machen soll. Daher reitet er gern mit, wenn ich verreise.
    Das Pferd war froh und guten Mutes wie auch wir. Wir pfiffen diverse Lieder unserer Jugend, mit denen wir emotionale Verbundenheit pflegten. Ich erinnere mich an schlagerartige Ausbrüche, an kleine Infernos, die zwischen uns aufflackerten und an Gereimtes aus dem Hause Hip und Hop, zu dem wir mitgroovten, als hätte es Breakdance nie gegeben. Dies war nun die popkulturelle Gegenwart und wir die Insassen einer Maschine, und wir fühlten uns wie Maschinengewehrmunition.
    Wir ritten schon eine ganze Weile, das Pferd war ein wenig müde geworden und wir tränkten es an einer Autobahnraststätte. Für uns gab es Pommes und Kaffee als Stärkung. Plötzlich klingelte mein mobiles Telekommunikationsendgerät. Das verheißt meist nichts Gutes, denn es klingelt selten. Ein unbekannter Teilnehmer rief mich an. Ich nahm ab. Einer der Leute, die mich einst so freundlich nach Leipzig eingeladen hatten, war dran und bat sofort um Verzeihung, und dann sagte er auch

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