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Ich bin schizophren und es geht mir allen gut

Titel: Ich bin schizophren und es geht mir allen gut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
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Rustikalität im kleinen Hotelzimmer, wo wir uns vor der Lesung noch frisch machen wollten. Wir duschten nicht gemeinsam, denn meine Begleitung war homophob.
    Auch die Aussicht mit mir diese Nacht stinkbesoffen in einem rustikalen Ehebett zu verbringen, stellte ihn vor unerklärliche Ängste. Ich offenbarte ihm, dass, wenn ich schwul wäre, er bestimmt nicht meinen sexuellen Richtlinien für einen passablen Arschfick entspräche, aber auch das beruhigte ihn nur bedingt. Ich konfrontierte ihn mit der Theorie, dass seine Ängste eigentlich seine Wünsche sind, und er stritt das natürlich ab und versuchte, als wir durch die Stadt liefen, sich in heterotypischen Tittenbetrachtungen sein Weltbild zurückzuerobern. Aber der Gedanke rotierte in ihm, das sah man deutlich an seinen Gesichtszügen.
    Wir wollten auf jeden Fall noch in einen Aldi, um nicht genehmigte Cateringwünsche wie Whiskey und frisches Obst nachzulegen. Jeder von uns hatte dann so eine Flasche Whiskey in der Hand und einen Beutel Äpfel. Die legten wir auf das rollende schwarze Band, das sich ruckartig in Bewegung setzte. Direkt vor uns roch es, nein es roch nicht, es stank wie latrinengetränkt, es stank so, wie die Toilettenszene in Trainspotting aussah, es stank so gülleartig dünnschissig, und ich mochte meinen tränenden Augen nicht trauen, der Geruch schien wirklich von einer Person auszugehen, und zwar stand vor uns eine Frau um die vierzig, heftig von Zahnverlust und unreiner Haut betroffen, blutunterlaufene Säuferaugen blickten auf das Fließband und darauf stand ihr schicker Billigkorn für 2,99 Euro. Fünf Flaschen. Dazwischen ein einsamer Deoroller von Rexona. Diese Frau war die Quelle des immensen Flavours, aber niemandem außer uns schien das aufzufallen.
    Vielleicht, so dachte ich mir, geht dieser menschliche Sondermüllhaufen hier täglich Schnaps einkaufen und die Ureinwohner sind das Gestinke gewöhnt und äußern sich deshalb nicht dazu. Die Frau auf jeden Fall tat ihre Einkäufe (und es waren wirklich nur fünf Schnapsflaschen und ein Deoroller, der aber bestimmt auch ausgetrunken werden sollte) in eine Art Rucksack. Dann sah sie uns an, vielmehr erst mich und dann sehr lange und sehr musternd meinen Mietmusiker, und plötzlich brach sie in ohrenbetäubendes Geschrei aus und deutete mit dem Zeigefinger auf meinen Kumpel. "Du hast mich gefickt und nie wieder angerufen", brüllte die Schnapsfrau meinen Saitenkumpan an, um dann auszuholen und ihm eine zu ballern. Mein Kumpel war zu Stein geworden, als die flache Hand der ranzigen Alten in seine Gesichtsnähe kam und unsanft auf seiner Wange landete. Daraufhin stürmte die Stinkmorchel aus dem Laden und mein Freund wusste nicht, ob lachen oder weinen jetzt angebracht wäre, und ich auch nicht, dafür war das alles zu skurril, und wir sahen uns kurz an und zuckten mit unseren Schultern und die Kassiererin sagte, nachdem sie zwei Flaschen Whiskey und ein Apfelnetz über den Scanner gezogen hatte: "Dreiundzwanzig Euro siebzig, bitte."
    Abends während der Lesung baute ich diesen Gag natürlich ein, die Stinkefrau war leider nicht anwesend, mein Kumpel hätte die Sache nämlich gern aufgeklärt. Vielleicht würde er jetzt doch schwul werden, sagte er noch kurz vorm Einschlafen zu mir und ich küsste ihn sanft auf die Stirn, doch er war viel zu besoffen, um sich darüber aufzuregen.
    Irgendwann war ich auch mal auf dem Hauptbahnhof in Köln und da wartete ich auf einen Zug nach Münster. Ich kam von einer Lesung und hatte nur wenig Gepäck bei mir und ungefähr zwei Stunden Aufenthalt in der Domstadt. Also verließ ich berucksackt das Bahnhofsgelände, um Richtung Dom zu laufen, um mich da auf der Domplatte ein wenig in der Sonne zu chillen. Da saß ich dann und wäre das jetzt ein Film, würde jetzt diese sehr spannungserzeugende Monsterannäherungsmusik eingespielt werden, obwohl man nur einen Jungautor sieht, der eine selbstgedrehte Zigarette raucht, auf dem Boden sitzt und ein Buch von Christian Kracht liest und das auch noch gut findet. Also Monsterannäherungsmusik so wie bei "Halloween" oder "Der Weiße Hai". Die Musik wird schriller, die Szenerie sieht immer noch harmlos aus, die Musik wird aber umso heftiger, lauter, bekommt Gewaltausbrüche und dann, ja dann, dann steht er vor mir. "Ey, hasse ma 'ne Kippe", fragte mich dieses Ding, ein junger Mann in einer orangen Uniform. Sehr, sehr dünn der Mann, keine Haare, dafür 'ne Menge Schorf auf dem Kopf, fahrige, zitternde Bewegungen.

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