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Ich bin schizophren und es geht mir allen gut

Titel: Ich bin schizophren und es geht mir allen gut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
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eine Zehn-Cent-Münze runter und sie brüllte "Danke" und verschwand lachend und polternd ...
Katrin (Für Ute)
    Wir sitzen in meinem relativ großen Wohnzimmer. Gerade ist ein Film zu Ende, der wirklich gut war, so ein kritischer Movie mit sozialem Abschaum und Anspruch an Stellen, wo Hollywood stirbt. Ich schenke Wein nach. Du lächelst. Ich mache eine Björk-CD an und bedauere, dass man nicht Johnny Cash und Björk zugleich hören kann. Ich meine, kann man schon, nervt aber. Ich entscheide mich aber bewusst für Björk, ich habe ja schließlich Damenbesuch. Sie trinkt Rotwein und fummelt sich eine Filterzigarette aus dem Softpack und ein Feuerzeug tut das, wozu es gut ist.
    Der Film flackert uns im Gemüt wie ein wohlig warmes Kaminfeuer. Da war auch eine Liebesgeschichte drin, so eine mit zwei kaputten Charakteren, die erst nicht zueinanderfinden konnten, sich aber immer schon interessant fanden. Dann hatten sie verschiedene Partner und wurden insgeheim eifersüchtig, kümmerten sich jeweils um den Aufbau einer kleinen Familie, kamen aber in Gedanken nicht voneinander los. Sie trafen sich immer oben auf den Dächern von Hochhäusern und philosophierten nächtelang, tranken wie wir Wein und rauchten Filterzigaretten. Der Film endete damit, dass einer Krebs bekam und stumpf verreckte. Alle weinten und das Leben ging weiter und veränderte sich nur im Hinblick auf einen Stuhl, der jetzt leer blieb. Der leere Stuhl war auch das Abspannbild, dazu Klaviermusik, die war traurig, diese Musik, und wir sitzen da und unsere Unterarme berühren sich.
    Irgendwie sind wir beide voll die Bohemians. Wir sind so Hobbykunstkritiker, die sowieso immer alles wissen, und unser Leben besteht nicht aus dem Suchen nach Nahrung oder der Meditation im Inneren unser selbst, sondern aus dem Auseinandertreten von Filmen, dem Analysieren von Musikstücken und Bands, dem Abhusten auf Vernissagen, dem Abnicken jedweder antifaschistischen Kunst, dem Umarmen von Kleinkünstlern, die grad was dargeboten haben vor fünf Menschen oder weniger und die aufgelöst in Tränen vor einem stehen und irgendwas quatschen von wegen Mangelernährung und verpeilte Menschheit, die die Kunst nicht versteht. Umarmt gehören diese Leute. Umarmt, nach Hause begleitet, beruhigt und vertröstet. Die Zeit wird kommen. Viele große Ideen benötigen Umwege.
    Björk schreit. Nicht unangenehm. Wenn Björk schreit, gibt es auch immer einen Grund dafür, der meistens Kunst oder Emotion heißt. Björk schreit und kommt aus Island. Sie sieht immer so aus wie eine Elfe mit Schrumpfkopf und ohne Flügel. Haben Elfen Flügel? Egal. Björk schreit und schreit und wir genießen das Gebrüll der pathetisch veranlagten Isländerin.
    Björk wird wieder sanfter.
    Diese Frau muss schizophren sein, sonst könnte nicht all dieser musikalische Sondermüll aus ihr rausfallen, und indem er aus ihr rausfällt, wird aus dem Sondermüll Intellektuellenmusik. Sie transformiert ihre Neurosen (Haben Islandbewohnerinnen so was?) in Texte und Töne, die schon mal außerirdisch anmuten. Ist diese Frau vielleicht in Wahrheit ein Experiment von Bewohnern eines anderen Universums? Ein Geschmacksexperiment und wir blöden Menschen sind drauf reingefallen? Weil man Björk eigentlich nicht gut finden kann, geht gar nicht, dafür ist die Musik viel zu zerrissen, und wer findet schon Zerrissenes gut, außer Verrückte. Musik für Entrückte, für entrümplungsbedürftige Pseudopsychointellektuelle, die sich selbst im Weg stehen.
    Meine Gästin zittert ein wenig, als sie sich erneut eine Zigarette anzündet und eine Björkzeile mitsingt, in ähnlicher Stimmlage wie die angebliche Isländerin: "... state of emergency, how beautiful to be, state of emergency, state of, state of, how beautiful, emergency, is where I want to be ..." Das Lied heißt "Emergency" und dieser Notfall findet in meinem Wohnzimmer statt und meine Gästin weiß ein Lied davon zu singen. Die Auswahl der CD ist gut, zeigt sie doch, dass, wenn man planlose Kunst macht, man sich doch wundervoll hinter seinem Schwachsinn oder hinter seinem Intellekt verstecken kann. Alles geht mit solch zufälligen Worten und Tönen. Ich bin ein Notfall, scheint die Musik zu brüllen, deswegen schrei ich euch die Welt in Einzelteile, ihr Verstandskrüppel. Aha. Meine Gästin versteht dieses Spiel und denkt und singt zu gleichen Teilen, liebt sich in dieser Rolle, man sieht es, ihre Kippe verglüht, während ihre warme Stimme durch den Raum schwingt und auch

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