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Ich bin schizophren und es geht mir allen gut

Titel: Ich bin schizophren und es geht mir allen gut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
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hässlich, aber alle fanden das toll, fotografierten das und sagten da antik zu, und die Fotoapparate der zugereisten Touristen saßen außerordentlich locker. Speziell Asiaten erfüllten an diesem Tag das über sie herrschende Vorurteil, aber auch eine Menge mittelalter Europäer konservierten Pixel in ihren Apparaten. Knips, knips und nochmal Digitalknips.
    Neben aller altertümlichen Hässlichkeit hat dieses Trier ein weiteres außerordentliches Problem: Es ist tausendprozentig katholisch. Jeder dritte Mensch, den ich beim Laufen über den Domvorplatz sah, trug einen Priesterkragen oder eine Nonnenhaube oder ähnlich würdelose Bekleidung. Als ich eine Gruppe Ordensschwestern sah, musste ich unwillkürlich an den Film "Die Reise der Pinguine" denken. Wenn Pinguine wüssten, mit wem sie so alles verglichen werden, ich glaube, sie würden auf der Stelle depressiv werden und sich von der Evolution verabschieden.
    Es gab da so ein Volksfest auf dem Domplatz, als ich da war. Auf vielen Plakaten wurde das sogenannte "HeiligRockFest" angekündigt. Dabei ging es nicht um ein Metalfestival von verplanten Christen, sondern das "HeiligRockFest" existiert, weil die Christen glauben, sie hätten das Gewand von Jesus Christus (geboren im Jahre 0, jüdischer Widerstandskämpfer, Opfer römischer Imperialisten) gefunden. Um dieses Teil, die sogenannte Tunika Christi, ranken sich viele Mythen und historische Spekulationen. Sicher bezeugt ist die Geschichte des Heiligen Rockes ab dem 12. Jahrhundert. Vor etwas mehr als 800 Jahren fand die Weihe des Hochaltars im damals neu errichteten Ostchor des Trierer Domes durch Erzbischof Johann I. statt, der in diesem Altar den Heiligen Rock eingeschlossen hatte. Wie der Heilige Rock nach Trier kam und ob das Gewand Christi echt ist, ist wissenschaftlich nicht mehr nachzuweisen. Die Überlieferung sagt, die Heilige Helena, die Mutter Konstantins des Großen, habe die Tunika Christi bei ihrer Pilgerfahrt in Jerusalem gefunden und anschließend der Trierer Kirche geschenkt. Na klar, Frauen verschenken stylische Klamotten. Glaube beruht ja auf vielerlei Spekulativkram, das ist seine Essenz.
    Zum Anlass der Schenkung dieses Gewandes gab es nun dieses Fest und eine Menge Kindergruppen aus Schulen, Kindergärten und Heimen für Schwererziehbare, Senioren und Behinderte wurden herangekarrt, weil das auf Christenfesten so üblich ist. Das Fest war bunt und laut und es hatte auf dem ganzen Domplatz allerlei Zelte, und ich hatte noch Zeit, mich ein wenig umzusehen. Es war 17 Uhr. Die Lesung sollte um 20 Uhr beginnen. Das Fest tobte, Rollstühle fuhren vorbei, es stank nach Grillwurst und jede Viertelstunde machte der Dom auf sich aufmerksam, in dessen Schatten sich das alles abspielte. Und zwar mit ohrenbetäubendem Glockenklang. Bong, Bing, Bong und so weiter.
    Das Fest hatte riesige, sehr ordentlich aufgestellte Infozelte zu den Themen: Auferstehung, Nächstenliebe, Hunger in der Dritten Welt, Abtreibung ist Mord usw. Und ich vermisste ein wenig Zelte mit anderen Themen. Ich schaute mich weiter um, doch alles, was ich sah, blieb auf diesem Niveau. Es tut weh, Wahrheit zu vermissen.
    Dann ging ich mal in diesen Dom. Voll war es auch hier und das obwohl sich die hier anwesenden Christen nicht zur Messe versammelt hatten, sondern ausschließlich zum Abchillen. Hier war eine angenehme Ruhe, aber es roch nach Seniorenheim und Weihrauch. Also diese Mischung aus wegen Inkontinenz vollgepisster Stützstrumpfhose und angezündeten Heilkräutern. Mir wurde auf der Stelle schlecht. Christliche Drogenexzesse. Das kennt man ja von diesen Kannibalen und Bluttrinkern.
    Auf einer Stufe innerhalb des Doms saß ein hässliches Mädchen, das bestimmt 120 Kilo wog, mit einer verstimmten Gitarre und trällerte vor einer aufmerksamen Kindergruppe christliche Lieder. Ich hörte nur einzelne Wortfetzen wie "Halleluja", "Gott ist gut" und "Heilung", "Rettung" und "Auferstehung" und schloss mich als Zielgruppe erstmal aus. Die Kinder aber, die da saßen, waren so aufmerksam, als würde Bob der Baumeister das Tageswerk erklären oder Rambo ein vietnamesisches Dorf platt mähen. Das Mädchen sang schief und war ausgesprochen fröhlich dabei. Als sie fertig war und die Kinder sich davonmachten, lächelte sie mich an, denn ich stand wohl sehr fasziniert über ihren hypnotischen Gesang da, und dann stand sie auf, kam auf mich zu und stellte sich vor. Sie hieß Tamara und kam aus Chemnitz. Sie säße hier auf den Stufen, um Gott zu

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