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Ich bin unschuldig

Ich bin unschuldig

Titel: Ich bin unschuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Durrant
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ob Sammy ein Vorstellungsgespräch bekommen hat. Und es ist der Gedanke an Steve, bei dem ich schließlich in Tränen ausbreche.
    Oben im Bad spritze ich mir Wasser ins Gesicht, ein Gesicht, das zu viel gesehen und zu viel getan hat. Ein Gesicht, das schon zu lange dabei ist. Falten vom Stirnrunzeln und Falten vom Lächeln und ein kleiner Riss über einem Vorderzahn. Gesichtshärchen, die gezupft werden müssen, violette Schatten, für die jeden Tag mehr Abdeckcreme gebraucht wird. Ich bin zu teuer an Touche Éclat . Auch meine Haare – lächerlich. Im Zahnputzbecher steckt eine Nagelschere, und zornig schnippele ich daran herum, sehe zu, wie die Strähnen ins Waschbecken fallen und den Ausguss verstopfen. Ich mache immer weiter. Meine Mutter hat einmal in einem Anfall von überschwänglicher Extravaganz beschlossen, die Hecken in unserem Garten zu stutzen. Mit Baumschere und Rosenschere und Astschere bewaffnet, kam sie aus dem Gartenzentrum, und ich sah vom Haus aus zu, wie sie sich fluchend, mit zerkratzten Armen wedelnd, über eine Rosenhecke hermachte. Sie schien nicht zu wissen, wann sie aufhören musste. Sie schnitt und schnitt, bis von den wunderschönen Sträuchern nur noch ein paar schwarze, stoppelige Ranken übrig waren.
    Danach mustere ich die Haare im Waschbecken. Sie sehen aus wie ein totes Tier. Noch einmal betrachte ich mein Gesicht. Die ganzen Bemerkungen, ich habe sie geglaubt, dabei sehe ich eigentlich überhaupt nicht aus wie Ania, nicht ohne Make-up. Es waren nur die Haare, rötliche Haare von derselben Länge, mehr nicht. Die Menschen haben keine Vorstellungskraft. Christa, die sie gut kannte, die ihr Gesicht gekannt hat, wie sich sein Ausdruck veränderte, war es gar nicht aufgefallen.
    Ich stopfe die Haare in eine Tüte und gehe damit runter. Als ich sie über den Mülleimer halte, frage ich mich für einen Augenblick, ob ich sie verkaufen könnte. Wir leben über unsere Mittel: Schulgeld, Urlaube, Tennisklub, eine lächerlich hohe Hypothek. Und falls ich meinen Job verloren habe und falls Philip plant … also, darüber werde ich jetzt nicht nachdenken. Man muss sich innerlich distanzieren, da hat Jack vollkommen recht. Bilder strömen herbei und bedrängen einen, wenn man sie lässt. Besser, sie hinzulegen wie Fotos, sie verblassen zu lassen, sie in dunkle, ungestörte Ecken, in Bücher und unter Steine zu schieben.
    Wenn das hier vorbei ist, brauche ich einen neuen Job. Wenn das hier vorbei ist, sage ich mir, wird sich einiges ändern. Ich fange damit an, dass ich den Harbour Club anrufe, um unsere Mitgliedschaft zu kündigen. Sie lassen mich ihre höhnische Überraschung spüren. Philip wird stocksauer sein. Es ist mir egal! Und dann hole ich eine Rolle schwarzer Müllsäcke aus der Schublade in der Küche und gehe meinen Kleiderschrank durch. Die reinste Entschlackung. Drei gleiche braune Pullover mit V-Ausschnitt, vier Wickelkleider, mehrere Paar hochhackige Schuhe, mit denen ich auf dem glatten Boden im Studio nicht gehen konnte, Stiefel mit Kitten-Heels und elegante schwarze Hosen mit Bügelfalten: Sie landen alle in den Säcken. Dann wende ich mich den Sachen zu, die ich tatsächlich trage, und sortiere auch da das meiste aus.
    Nora kommt herein, als ich gerade mitten dabei bin. Ich mache ihr eine Tasse Tee und sage ihr, sie könne sich nehmen, was sie wolle. »Oh. Okay«, meint sie glücklich. Sie entscheidet sich für die Hosen – Agnès B und Joseph – und sämtliche Schals und Kleider. Sie probiert die hochhackigen Schuhe an, doch die sind ihr viel zu groß, und zeigt Interesse an einer Trainingshose aus Frottee von Juicy Couture , an der der Gummi kaputt ist. Ich flicke sie ihr – mache den Trick mit der Sicherheitsnadel, die man in das Gummiband steckt, um es durch den Saum zu ziehen.
    Sie lebt in Burgess Hill, erzählt sie mir, mit zwei Freundinnen. »Weit, weit weg.« Ihr kleines Mädchen zu Hause in Manila ist zwölf.

    Ich nehme allen Mut zusammen und rufe Jude an. Die nette, interessante Jude, die meine Freundin sein könnte. Doch Freundschaft gibt es nicht umsonst, man muss etwas dafür tun, muss den Sprung wagen, selbst wenn man Angst hat. Vielleicht ist sie gar nicht zu Hause, vielleicht hat sie aber die nächsten Tage auch Zeit für einen Kaffee, aber das erfahre ich nur, wenn ich sie frage.
    »Oh«, sagt sie. »Hi. Ja. Gaby. Wie geht es dir?«
    »O Gott, frag besser nicht«, sage ich. »Es ist ein Albtraum.«
    »Ich hab’s gehört. Du hast deinen Job

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