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Ich bin unschuldig

Ich bin unschuldig

Titel: Ich bin unschuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Durrant
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gerade hinterm Steuer. Seine Stimme kling verzerrt, als würde er auf einige Entfernung laut reden. Derselbe Mann wie gestern? Der in dem roten Renault? Ich sage, ich weiß es nicht. Ich kann mir nicht sicher sein. Ich glaube schon. Seine Stimme ist beruhigend. Er kümmert sich darum, sagt er. Ich soll es ihm überlassen. Und zum ersten Mal frage ich mich, ob er etwas weiß, was ich nicht weiß, ob er mich nicht beobachtet, sondern vielmehr beschützt.

    »Haben Sie schon etwas gegessen?«
    Ich atme tief durch. Ich liege bei geschlossenen Läden in meinem Schlafzimmer. »Nein, noch nicht.«
    »Darf ich Sie zu einem feudalen Mahl einladen?«
    »Sie sind also aus Tottenham zurück.«
    »Ja, und ich könnte, genau wie Sie, dringend etwas Aufmunterung gebrauchen. Es war ein wenig traumatisch.«
    »Obwohl Sie ein bisschen was von sich abgehackt haben?«
    »Selbst damit.«
    Ich stehe auf, klemme mir das Telefon unters Kinn und spähe durch die Lamellen. Der Abend ist seltsam hell. Violett über den Dachfirsten. Die Straße ist leer.
    Jack schlägt ein neues Restaurant in der Nähe vor, eine dieser Lokalitäten – Bistro/Bar/Café –, die Menüs für zwei oder demi Plats oder Demi-Pliés oder Demi Moores oder Ähnliches anbieten. Er säuselt mir etwas von Ziegenfrischkäse und Muscheln und Rhabarbersorbet ins Ohr.
    »Saisonale Produkte«, sage ich in möglichst normalem Tonfall. »Einfache Zubereitung.«
    »So gut wie ein Moralkodex«, sagt er. »Kommen Sie mit? Fühlen Sie sich dem moralisch gewachsen?«
    Ich antworte nicht. Ich müsste Kleider und Schuhe anziehen, die Haustür öffnen und nach draußen gehen. Ich müsste annehmen, dass ich nicht gehasst und verachtet werde, müsste den kleinen, gedrungenen Mann vergessen und Jude und die Frauen mit ihren Buggys, die mich auf dem Common angestarrt haben. Ich müsste so tun, als wäre ich dem moralisch gewachsen. Ich gebe einen Laut von mir. Ich weiß nicht, ob es ein Ja oder ein Nein ist.
    »Toll«, sagt er und löst das Rätsel für uns beide. »Dann sehen wir uns dort.«

    Ich gehe zu Fuß. Ich öffne die Haustür und suche die Straße ab. An einem Laternenpfosten wurde ein gelbes Parkverbotsschild aufgehängt. Zwischen den Reifen der parkenden Autos flattert eine Einkaufstüte. Mein Handy klingelt.
    »Gabs, Gabs«, sagt Philips Stimme, »isch vermiss disch, Schatz. Rück näher«, singt er. Seine Worte sind verwischt. »Rück ganz nahzumirran, bisessich anfühlt, sich anfühlt wie … ischweißnich.«
    »Du bist spät auf«, sage ich. »Hallo.«
    In Singapur ist es mitten in der Nacht oder in den frühen Morgenstunden.
    »Wo ist mein kleines Mädchen? Kann ich mit ihr reden? Meine Mils, mein Baby.«
    »Sie ist in Suffolk bei Robin, Philip. Nur für ein paar Tage, bis …«
    »Meine süße Millie. Meine Gabs. Weissu noch, als wir in Cornwall nackt baden gegangen sind? Kalt, was?«
    »Es war richtig kalt.«
    »Brrrr. Es war so kalt. Weissu noch, wie kalt uns war?«
    »Ja. Uns war richtig bitterkalt.«
    »Vermissu mich?« Im Hintergrund ist Musik zu hören, Rufe, Lachen, Singen. Ein Bankett im chinesischen Stil. Karaoke und Sake. Sehr viel Sake.
    »Ja.« Mit einem leisen Klicken schließe ich die Haustür hinter mir ab. Das Handy habe ich unters Kinn geklemmt. »Ja.« Ich öffne das Tor zur Straße und biege nach links in Richtung Common. Tränen brennen mir in den Augenwinkeln. »Wann kommst du nach Hause?«
    »Endederwoche. Verschprochn, wennischkann. Vielleicht schon früher.« Ich verlasse die Allee und trete aus dem Schutz der Bäume. Warum muss er jetzt anrufen? Es kommt mir vor, als wäre es zu spät. Verlassen und grün erstreckt sich der Common vor mir. Eine Kathedrale aus Bäumen, dunklen Ecken und leeren Plätzen.
    »Ischliebedisch. Wirsehnunsbald, versprochen. Tschüs. Tschüs.« Seine Stimme verhallt, als hätte ihn jemand fortgezogen.
    Das Telefon liegt schwer in meiner Tasche und schlägt mir gegen den Oberschenkel, als ich über den gekiesten Weg gehe. Ich möchte mich umdrehen. Den ganzen Weg über den Common muss ich mich zwingen, es nicht zu tun. Ich setze einen Fuß vor den anderen und drücke die Schultern durch. Ich sehe mich nicht um.

    Das Bistro/Bar/Café ist ganz in dunklem Holz und Stahl gehalten, antike Anglepoise -Leuchten stehen in Nischen.
    Jack knabbert an ein paar Oliven und etwas, was aussieht wie abgeschnittene Fingernägel.
    Ich bleibe einen Augenblick in der Tür stehen, um mich zu sammeln, um das richtige Gesicht aufzusetzen. Und

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