Ich bin unschuldig
Montag steht da: »18.30 CS , 19.00 PT .« Die Armenierin aus Croydon und die Studentin, die jeden Augenblick weg zur Uni wollte. Am Dienstag steht da: »19.00 NM , 19.30 NS , 20.00 PB .« Die, die keinen Führerschein hatte, der Südafrikaner und die nette Portugiesin, die kein Englisch konnte. Dann am Mittwoch: »17.30 MB «. Marta Biely, ein kompetentes, vielseitiges polnisches Kindermädchen mit erstklassigen Referenzen.
Ich hatte auf dem Weg ins Krankenhaus, wo ich meine Mutter besuchen wollte, mit Robin telefoniert. Daran erinnere ich mich. Ich bat sie, meine Verabredungen für die Woche abzusagen, ein Essen und einen Besuch beim Zahnarzt zu verschieben. Sie sagte, sie würde sich darum kümmern. Ich konnte es ihr überlassen. Doch sie war mit der Hochzeit beschäftigt – ein Problem in letzter Minute: Die Stühle im Zelt waren zu breit. Hatte sie versucht, Ania anzurufen, und hatte sie nicht erreicht? War sie gar nicht dazu gekommen? War Ania trotzdem hergekommen?
Ich schiebe den Kalender wieder zwischen die Kochbücher. Dies ist alles und nichts. Es beweist gar nichts. Erklärungen: Sie sind da, warten nur darauf, gepflückt zu werden.
Ich denke an die Woche, in der meine Mutter starb. Die letzten paar Monate waren eine ganz neue Variante der Hölle gewesen. Polizei. Ärzte. Interventionen. Wodka in Blumenvasen. Miniaturflaschen im Arzneischränkchen. Unpassende Männer, die auf dem Sofa bewusstlos wurden. Philip, der meine Mutter »ein echtes Original« genannt hatte, war angewidert von der rohen Brutalität des Ganzen. Ich zwang ihn zu nichts, wozu er nicht bereit war. Das letzte Mal fuhr ich allein ins Krankenhaus. Ihre Haut war gelblich, das Weiß ihrer Augen wie Eigelb. Mit aufgedunsenen Fingern mischte sie unsichtbare Karten. Sie hatte sich sämtliche Krusten an den Armen und den Schorf auf den Handrücken aufgekratzt, bis sie bluteten. Ihr Bauch unter dem Laken war aufgebläht. Als sie sich in die nierenförmige Schale übergab, die ich festhielt, lief ihr das Blut wie Rotz aus der Nase.
Sie erzählte den Krankenschwestern, ich wäre auf sie losgegangen, hätte sie an den Haaren gezogen und sie grün und blau geschlagen. »Eine unnatürliche Tochter«, fuhr sie auf. Ich streichelte ihren Rücken, bis sie einschlief. Als sie aufwachte, erbrach sie schwarze Klumpen.
Philip war nicht bei mir, als sie starb. »Mein Schatz«, sagte er am nächsten Tag am Telefon, »mein armer Schatz.« Er schickte Blumen, ein hübsches Sträußchen aus Nelken und Inkalilien. Er kam zu spät zur Beerdigung, kam direkt von »einer Jobsache« ins Krematorium, schlich auf Zehenspitzen herein.
Der Wasserkessel schaltet sich aus, und ich fahre zusammen. Die Heißwasserpumpe ruckt und schweigt. Ich höre, wie das Schmutzwasser durch die Rohre in der Wand nach unten gurgelt.
Ich gieße gerade Wasser in die Teekanne, als das Telefon klingelt. Die Ladestation auf dem Beistelltisch in der gemütlichen Ecke in der Küche ist leer – das schnurlose Telefon liegt oben am Bett –, doch das Zweittelefon ist zwischen den Sofakissen vergraben. Als ich den Knopf drücke, um zu antworten, höre ich ein leises Klicken.
»Hallo, Mum. Wir sind an einer Tankstelle. Ich esse zu Mittag, obwohl es noch gar nicht Mittag ist. Würstchen, und was, meinst du, ist leckerer: Chips, Bratkartoffeln oder Butterpüree? Ich nehme Chips, weil Robin sagt, wahrscheinlich nehmen sie gar keine Butter. Sie sagt, es ist wahrscheinlich Margarinepüree.«
»Oder Lättapüree«, sage ich. Ich hatte es vergessen: Millie und Robin. Es ist Mittwoch. Der Gynäkologe. Millie ist auf dem Weg nach Hause. Ich werde Millie bald sehen. »Oder Ramapüree.«
»Sowieso ganz schön eklig. Hast du House of Anubis aufgenommen? Robin und Ian haben kein Nickelodeon, und ich muss wissen, wie es weitergegangen ist. Unbedingt, Mum.«
»Millie?«
»Bleib dran. Robin will mit dir sprechen.«
»Mils. Kann ich dich was fragen?«
»Okay.«
Ich gehe mit dem Telefon ans Fenster. »Kannst du dich an letzten Sommer erinnern, an das Wochenende, als ich bei Oma im Krankenhaus war, an dem Wochenende, bevor du bei Robins Hochzeit Brautjungfer warst?«
»Ja-a«, sagt sie zögernd.
Der größte Teil des Gartens liegt im Schatten, aber die Kamelie ist trotzdem schon draußen. »Du hattest einen Turnwettkampf am Vormittag und Harriet Pughs Geburtstagsparty am Nachmittag, wo ihr Porzellan bemalt habt.«
»Da, wo sie auf der Unterseite von dem Teller, den ich gemacht hab, meinen Namen
Weitere Kostenlose Bücher