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Ich bin unschuldig

Ich bin unschuldig

Titel: Ich bin unschuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Durrant
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geschlafen?«
    »Gaby, ich bin im Vollbesitz sämtlicher Fähigkeiten.«
    Er setzte sich auf die Tischkante, die Hose knittrig wie Elefantenhaut, ganz der gut aussehende, jugendliche Philip. Doch ich sah ihn nur an. Es war seltsam. Ich fühlte mich wie losgelöst. Ich war nicht einmal mehr sauer. Es war zu etwas Dumpferem verkalkt. Ich konnte es nicht genau ausmachen. Dies war alles, wonach ich mich gesehnt hatte, doch es war falsch, es war schräg, es war zu spät. Ich hatte das alles ohne ihn durchgestanden, allein, und es hatte etwas verändert. Ich wusste nicht, ob ich die Veränderung rückgängig machen konnte. Ging es bei diesem emotionalen Erguss um mich oder in Wirklichkeit um ihn? Und ein »Bootsausflug«? War es überhaupt wert, erwähnt zu werden? Er sprach weiter, ein wahrer Sturzbach von Worten: »Ich hab mich auf die andere Seite der Welt verpisst, obwohl du Erschütterndes durchgemacht hast. Ich war nicht hier, um dich zu unterstützen, als die Polizei dich gepiesackt hat …«
    »Also, genauer gesagt, festgenommen.«
    »Du hattest alles im Griff, wie immer.«
    »Ich habe eine Nacht in einer Zelle verbracht, Phil. In einer Zelle!«
    »O Gott. Sie haben dich dabehalten? Über Nacht?«
    »Ja.« Das hat er doch wohl gewusst. »Eine ganze Nacht.«
    Er schnappt nach Luft. »War es schrecklich?«
    »Eigentlich«, erwiderte ich, »war es okay. Ich hab’s überlebt.«
    »Du armer Schatz. Ich habe dich nicht verdient.« Mein Blick fällt auf eine Ader in der zarten Haut unter einem Auge. »Ich bin ein wertloses Stück Dreck.«
    »Sei vorsichtig mit solchen Selbstgeißelungen«, sagte ich, »sonst geht es wieder nur um dich.«
    Er wandte den Kopf ein wenig, drückte mit den Fingern die Stelle zwischen den Augen und schob sie über den Nasenrücken.
    Die Vertrautheit dieser Geste rührte etwas in mir an. Philip macht das immer – die Nase drücken –, wenn er müde ist, als könnte er die Müdigkeit hinauspressen. Ich trat auf ihn zu und küsste ihn auf die Lippen, eine Stelle, die ich eine Weile als verboten empfunden hatte. Ich probierte es aus. Er umfasste meinen Hinterkopf mit einer Hand, und ich spürte den Druck seiner Zähne an meinen Lippen. Dann nahm er meine Hand und zog mich aus der Küche, an Martas geschlossener Tür vorbei die Treppe hoch in unser Zimmer.
    Sein Körper ist mir so vertraut wie mein eigener. Ich weiß, wo die Knochen vorstehen und die Haut faltig geworden ist, wo ein Muttermal gewachsen ist und wo Muskeln fester geworden sind. Zuerst war ich schüchtern – die Kränkung, nach einer Phase ohne Sex wieder Sex zu haben, die Verlegenheit –, doch es war nicht wie in Brighton. Ein Teil von mir senkte den Blick und stellte sich das Gespräch vor, das ich vielleicht mit Clara führen würde. Worte wie »einfühlsam«, »aufmerksam«, »rücksichtsvoll«. Ich spürte die Macht von Philips Gefühlen. Es war nicht Leidenschaft, es war etwas anderes.

    Ich wende mich um wie ein Delfin im Wasser, um sein Gesicht zu betrachten. Seine Bartstoppeln haben weiße Spitzen und sind am Kinn heller als um den Mund, ein bisschen wie bei Perivale, obwohl ich mir wünschte, dieser Gedanke wäre mir nicht gekommen. Hautschuppen seitlich an der Nase, hier und da ein Haar, das ausgezupft werden müsste. An seiner Schläfe blüht ein Altersfleck auf – ist der neu? Pfefferminzduft.
    »Du hast dir die Zähne geputzt«, sage ich. »Schwindler.«
    »Hah! Ich war im Bad und habe die Gelegenheit genutzt!« Er sieht mich ernst an. »Ich werde mir Mühe geben, Gaby.«
    »Und mit den Zähnen hast du angefangen.«
    »Und mit den Zähnen habe ich angefangen.«
    Ich betrachte ihn einen Augenblick.
    Plötzlich niest Philip, als sei die Aufmerksamkeit ihm zu viel. »Tut mir leid. Heuschnupfen.«
    Er niest noch einmal, und diesmal gibt er den Dirigenten mit dem unsichtbaren Taktstock. In meinem Herzen, tief innen drin im Muskel, zwickt etwas, wenn er das tut.
    Ich stütze mich auf einen Ellbogen. »Wir sind uns sehr fremd geworden«, sage ich.
    »Ich weiß.« Er rutscht neben mich, schiebt sich ein Kissen unter die Schultern und sieht mir in die Augen. »Also, erzähl mir alles, was passiert ist, während ich weg war. Alles. Die Polizei hat dich also dabehalten, die Scheißkerle, und dann beschlossen, dich in Ruhe zu lassen, Gott sei Dank. Was noch? Wie war die Arbeit? Verdammt, sie haben dich doch hoffentlich unterstützt?«
    Ich öffne den Mund, um zu antworten, doch ich schließe ihn wieder. Ich weiß nicht, wo

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