Ich bin unschuldig
Er telefoniert noch, geht dabei von einem Zimmer ins andere. Ich kann ihn nicht mehr hören. Ich setze mich auf den Crosstrainer, um nachzudenken. Von hier kann ich das Fenster sehen, durchkreuzt von einem Eisengitter, ein Stückchen Himmel, eine Baumkrone.
Ich fasse einen Entschluss. Ich werde hochgehen, als wäre nichts passiert, und das Haus verlassen, so schnell ich kann. Doch den Christophorus halte ich noch in der Hand. Im Fuß des Crosstrainers, wo zwei rechteckige Rohre von den Fußstützen in tiefe Hohlräume im hinteren Sockel des Geräts führen, ist ein Loch – es ist dunkel hier drin, unter anderen Umständen würde man nicht seine Finger riskieren wollen. Ich stecke die Halskette hinein, verlasse den Raum und laufe die Treppe hoch in die Küche. Philip ist im Wohnzimmer, wo er immer noch telefoniert und Anweisungen bellt. Es klingt, als säße er auf dem Klavierhocker. Unsere Teller und Kaffeetassen stehen noch auf der Spüle. Sie könnten eigentlich in die Spülmaschine, aber ich muss meine Hände beschäftigen, und ich fange damit an, sie in heißem Wasser zu versenken.
Philip hat wohl mitbekommen, dass Wasser einläuft. Ich höre ihn im Flur, und dann ist er in der Küche. Er verzieht das Gesicht und macht mit der freien Hand eine kreisende Bewegung, und dann klemmt er sich das BlackBerry zwischen Kinn und Schulter, tritt hinter mich und legt mir die Arme um die Taille. »Und noch einmal Ihr Standpunkt?«, sagt er.
Meine Hände sind im Wasser. Ich kratze und scheuere an dem Muster auf dem Teller herum.
»Ja«, sagt er. »Da sind wir dabei. Wir entscheiden später, wann wir verkaufen. Tschüs.«
Er legt auf, schiebt das Telefon in die Tasche des Morgenmantels und stützt das Kinn auf meinen Scheitel. Ein spitzes Gewicht. Wenn er sich noch fester aufstützen würde, würde mein Schädel bersten und mein Kopf würde in meinen Hals gezwängt werden. Ich habe das Gefühl, mich nicht rühren zu können, doch es gelingt mir, meine seifigen Hände aus dem Spülwasser zu heben.
»Die Dinge werden sich ändern«, sagt er langsam. Seine Stimme ist belegt.
»Meinst du wirklich, Philip?« Ich ziehe die Latexhandschuhe aus und drehe mich um, um ihn anzusehen. »Fünfjahresplan und so? Sprichst du von Suffolk? Bienen und Brombeergelee und Dorfschulen?«
Ein Schlag. Eine Pause. Zwei Sekunden Verrat. Ich weiß, dass er nicht die Absicht hat, nach Suffolk zu ziehen.
»Wir reden darüber«, sagt er.
Wenn er doch nur ehrlich gewesen wäre.
Ich kann mich nicht bremsen. »Bist du dir absolut sicher, dass Ania Dudek nicht hier war? Eine Kleinigkeit, die man bei unserem hektischen Alltag leicht vergisst?«
»Ich hab’s dir doch gesagt. Nein. Sie war nicht hier. Um Himmels willen. Gott!« Er tritt zurück, holt das Handy aus der Tasche des Morgenmantels und knallt es auf die Arbeitsfläche.
Ich drehe mich wieder zur Spüle um und ziehe den Stöpsel. Das Wasser verschwindet kreiselnd. Ich wische mir die Hände an einem Küchenhandtuch ab, dasselbe, das ich Jack zugeworfen habe. Aus irgendeinem Grund denke ich an DNA und ob dieses Küchenhandtuch voll von seiner ist. »Ich gehe kurz in den Supermarkt, um Milch und was zu essen zu besorgen«, sage ich barsch. »Ich habe nichts für Robin und Millie da. Willst du irgendwas?«
Er reibt sich die Augen. »Könntest du mir ein Antihistaminikum besorgen? Sieht so aus, als herrschte starker Pollenflug.«
»Selbstverständlich.«
»Gaby?«
»Ja?«
Er sieht mich mit einem seltsamen Ausdruck im Gesicht an. »Nichts.«
Ich schnappe mir meine Geldbörse, steige rasch in ein Paar Schuhe und verlasse das Haus.
Der silberne Mondeo parkt auf der anderen Straßenseite. Ich überquere direkt daneben die Straße, um zu meinem Auto zu gehen. Heute hockt Perivale darin, er sitzt einfach nur da. Ich sollte beruhigt sein, aber das bin ich nicht. Ich weiß, ich sollte ans Fenster klopfen und einsteigen, aber ich bin noch nicht bereit. Stattdessen gehe ich rasch vorbei, spüre seinen Blick im Rücken und setze mich in mein Auto. Ich habe das Bedürfnis, zu fahren und zu fahren, aufs Gas zu treten, um hier wegzukommen, ganz weit weg. Stattdessen mache ich die kurze Tour zu Tesco . Ich ziehe ein Parkticket und lege es aufs Armaturenbrett, scanne mit dem Handapparat ein Hühnchen ein, eine Tüte Salat, zwei Liter Milch, einen Strauch lilafarbenen Zierlauch, ein wenig Milchschokolade und zwei Schachteln Benadryl. Ich gehe mit dem Handapparat an die Kasse. Gab’s bei irgendeinem
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