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Ich bin unschuldig

Ich bin unschuldig

Titel: Ich bin unschuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Durrant
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an die Sunday Times News Review .« Er fasst in die Innentasche seines Jacketts und holt ein kleines Diktafon heraus. »Wo fangen wir an?«
    Das Diktafon ist mir unangenehm, und ich will ihn gerade bitten, es wieder wegzutun, da klingelt mein Handy. Es liegt auf dem Tisch, und Jack schaut auf das Display, bevor ich danach greifen kann. Es ist Philip. »Oh«, sage ich, »das kann warten«, und stecke das Handy ein.
    »Also, wo wollen wir anfangen?«, wiederhole ich. »Für die Kleider und die Pizzaquittung habe ich eine Erklärung, und zwar Marta, mein Kindermädchen. Aber nehmen Sie das bitte nicht auf, das ist nicht für den Artikel. Nicht dass ich denke, sie hätte Ania umgebracht, nur dass sie sie womöglich kannte und aus irgendeinem Grund nicht damit rausrückt. Sie hat der Polizei gesagt, sie sei ihr nie begegnet, aber mir gegenüber hat sie gemeint, es könnte sein, dass sie sie ein paarmal in der Kirche gesehen hat.«
    »Wo ist Marta jetzt?«
    »Sie besucht eine Freundin in Colliers Wood.«
    »Colliers Wood«, wiederholt er mit tiefer Stimme, als hätte ich »Voldemorts Höhle« gesagt. Ich spüre, dass die ganze Sache vom Gruseligen ins Komische gleitet und dass die Spannung nachlässt. »Zeigen Sie mir, wo sie schläft.«
    »Die Polizei ist schon durch. Was sollen wir da finden, was die nicht gefunden haben?«
    »Anderer Blick, andere Perspektive. Die kleinsten Dinge können dem einen Menschen überhaupt nichts sagen und einem anderen alles. Und widersprüchliche Beweise sind immer verdächtig. Kommen Sie!« Er schiebt seinen Stuhl nach hinten. »Wollen wir ermitteln, oder wollen wir ermitteln?«
    Ich hebe die Hände zu einer Geste, die sagt: »Ich ergebe mich«, und gehe voraus. Er folgt mir nach oben. Ich spüre sein Gewicht auf den Stufen. Mit einer Art befangener Behändigkeit steige ich die Stufen hinauf. Als ich die Tür zu Martas Zimmer aufdrücke, zucke ich zusammen. Einen Augenblick lang denke ich, sie liegt auf dem Bett, doch es ist nur das Federbett – sie hat es komisch zusammengelegt und das Kissen obendrauf platziert.
    Jack geht zum Fenster und öffnet die Lamellen des Rollos. Regen rinnt an der Scheibe hinunter. »Von hier aus kann man den Common sehen«, sagt er, »über die Hausdächer.«
    Ich stehe noch in der Tür. Eine gewisse Grenze sollte man nicht überschreiten. Doch Jack plagt sich, wie es scheint, nicht mit solchen Skrupeln. Vielleicht liegt das daran, dass er sie nicht kennt – macht das in dieser Situation moralisch einen Unterschied? Er ist ungeniert eingetreten und steht jetzt vor dem Schrank und zieht die Tür auf. Eine Rolle Packpapier fällt heraus. Er schaut auf. »Worauf warten Sie?«
    »Vermutlich ist es okay.« Ich überquere die Schwelle und trete zu ihm an den Schrank. Trotz meines Unbehagens gehe ich die Fächer auf der einen Seite durch, unten angefangen: mehrere Lehrbücher mit Titeln wie Englisch ohne Mühe , ein Straßenverzeichnis von London, ein Stapel Prospekte – Madame Tussauds, der London Dungeon –, die Karte eines Taxiunternehmens. Ganz hinten liegen ein Stoß brauner wattierter Umschläge, eine dicke Rolle weißer Aufkleber und mehrere Tesafilmspender.
    »Wozu braucht sie so viel Büromaterial?«, frage ich.
    »Hm. Keine Ahnung.«
    Jack sieht müßig die Kleider auf den Kleiderbügeln durch. »Wie viele Leggins braucht eine junge Frau?«
    »Das«, antworte ich, »ist Ansichtssache.« Ich habe einen Stapel Handtücher und Bettlaken und einige Toilettenartikel durchsucht und bin beim obersten Fach angelangt. Dort liegt ein zerknülltes Kleidungsstück, und als ich es herausziehe, sehe ich, dass es die Jeans ist, die ich schon vermisst habe. Ich glotze darauf. »Ich hab mich schon gefragt, wo die abgeblieben ist«, sage ich nach einem Augenblick. »Sie hat sie wohl aus Versehen in ihren Schrank getan.«
    Jack schließt die Schranktür. »Wonach suchen wir überhaupt?«
    »Ich weiß nicht. Es war Ihre Idee.«
    »Was ist das?« Er zeigt auf einen Schuhkarton unter dem Bett.
    »Sollen wir wirklich hier herumschnüffeln?«
    »Sie haben recht«, sagt er. »Wir sollten es nicht, aber ich mache ihn trotzdem auf. Sehen Sie mich nicht so an. Um Himmels willen, Gaby.«
    Es ist das erste Mal, dass er mich beim Vornamen nennt.
    Ich stehe an der Tür, bin im Geiste schon draußen, unten mit dem Wasserkessel beschäftigt, als er sich bückt und den Karton über den Teppich zieht. Es behagt mir nicht, dass er das tut. Es erinnert mich daran, dass ich ihn nicht kenne.

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