Ich bin unschuldig
ein Puffer, diese Leute, sie haben mir etwas oder jemanden, vor dem ich Angst habe, vom Leib gehalten.
Als ich auf dem Weg nach oben ins Bett an der Haustür vorbeigehe, sehe ich einen Schemen auf dem mattierten Glas, eine Hand, die sich ausstreckt, um zu läuten, doch es ist nur der wogende Schatten eines Olivenbaums im Schein der Straßenlampe.
Sonntag
Am Morgen ruft Philip noch einmal an, und diesmal gehe ich ran. Ich erzähle ihm, dass die Lage sich beruhigt hat. »Oh, gut«, sagt er. »Es ist schrecklich, so weit weg zu sein und mir solche Sorgen um dich zu machen.« Falsche Besorgnis. Wenn du dir so schreckliche Sorgen machst, warum kommst du dann nicht nach Hause?
»Unterstützen die in der Arbeit dich auch?«, fragt er, und in Gedanken erwidere ich: Unterstützen? Ob die mich unterstützen? Heißt, mir zu sagen, sie wollten mich nicht in ihrer Nähe haben, mich zu unterstützen? Doch nichts von alldem sage ich, sondern: »Sie haben mir ein paar Tage freigegeben.« Ich klinge wie ein bockiges Kind.
»Oh, gut. Nett von ihnen.«
Ich stütze die Stirn an die Handfläche. Ich bin genervt und gleichzeitig völlig erschöpft. Er ist weit davon entfernt zu verstehen, was ich durchmache. »Ja, kann sein«, sage ich schließlich.
Wie anders bin ich am Telefon mit meiner Tochter. Millie platzt schier: frisch geborene Lämmer, Hüte mit Osterschmuck und Fahrrad fahren mit Ians Nichte Roxanne, die erst neun ist und trotzdem schon Ohrlöcher hat. Ich freue mich über ihr überschwängliches Geplapper. Im Hintergrund höre ich das Treiben in Robins Küche – der Hund scharrt mit den Pfoten, das Baby zieht die Nase hoch, Teller klappern –, fröhliches Familienleben.
»Das liegt daran, dass sie halb Spanierin ist«, höre ich Robin rufen. »Die kriegen schon bei der Geburt Ohrlöcher gestochen.«
»Wie Beschneidung?«, frage ich, als sie an den Apparat kommt.
»Oh, nicht«, sagt sie. »Geht es dir gut, Gaby?« Ihr Tonfall ist ernst.
»Ja«, antworte ich fröhlich.
»Ganz sicher? Genießt du die Ferien von der Arbeit?«
»Ja! Was ist bei euch da oben so los?«
Sie erzählt mir, dass Millie einfach fantastisch ist, toll mit dem Baby umgeht und brav ihr Gemüse aufisst. Ich frage, ob sie ihre Zähne ordentlich putzt. Seit die großen durchkommen, stehen sie so schief und krumm, dass sie manchmal welche vergisst. Robin kennt mich gut genug, um nichts dagegen zu haben, dass ich so ein Theater mache. Sie sagt, Millie gebe sich große Mühe. Um Millie in das Gespräch mit einzubeziehen, ruft sie ihr zu: »Nicht wahr, gestern musste ich dich zurückschicken, damit du dich noch gründlich um den kümmerst, der hinter dem kleinen Zahn rauskommt?« Millie pflichtet ihr im Hintergrund unaufmerksam bei. »Sie füttert gerade Charlie«, sagt Robin als Entschuldigung. »Wir fangen langsam mit fester Nahrung an.«
»Was isst er?«
»Möhren.«
»Von denen habe ich jede Menge.«
»Bring sie her! Wir haben hier oben hinter den sieben Bergen nicht viele Möhren. Was meinst du, wann du kommen kannst?«
Ich stöhne leise.
»Komm doch jetzt«, sagt sie leise. »Steig ins Auto und komm her. Wenn du dich beeilst, bist du zum zweiten Kaffee am Vormittag schon hier. Ich hab auch diese Mjam-mjams da, für die du eine Schwäche hast.«
»M & Ms?«
»Die von Sainsbury . Nicht ganz so lecker, aber fast.«
»Also nur Mjam?«
»Spring ins Auto, und komm auf eine Tasse Kaffe und ein Mjam am Vormittag her.«
Ich stöhne noch einmal. »Ich kann nicht. Ich sitze hier fest. Ich muss warten … Nächstes Wochenende kann ich bestimmt hochkommen. Ich vermisse mein kleines Mädchen.«
»Am Mittwoch muss ich nach London, weil ich einen Termin bei meinem Gynäkologen habe. Ich könnte bei dir reinschauen. Millie muss noch ein bisschen hierbleiben, denn am Freitag hat Roxanne Geburtstag, und ich habe Millie versprochen, dass sie zur Party darf, aber ich könnte sie für den Tag mitbringen. Wenn du sie so sehr vermisst.«
»O ja, mach das. Mach das.«
»Wenn ich sie von Roxanne und dem Baby weglocken kann …« Ihre Stimme verklingt. »Willst du Mum Auf Wiedersehen sagen?« Dann bringt sie mir behutsam bei, dass mein kleiner Engel im Augenblick keine Zeit mehr für mich hat. »Sie ruft später noch mal an.«
Ich fahre mit der Hand ans Herz. Ein winziger Stich der Enttäuschung.
»Okay«, sage ich fröhlich. Meiner Tochter verzeihe ich alles. »Ich hab euch beide lieb.«
Ich vergaß. Ich dachte, jetzt, da die Journaille fort ist,
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