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Ich bin unschuldig

Ich bin unschuldig

Titel: Ich bin unschuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Durrant
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Wahrscheinlich sollte er gar nicht im Haus sein, erst recht nicht in Martas Zimmer. Aber ich bin wie gelähmt. Ich tue nichts. Ich sehe nur zu. Er schiebt das Federbett zur Seite, setzt sich aufs Bett und öffnet ihn. Als er den Deckel hebt, flattern zwei dünne Blätter heraus.
    »Postquittungen«, sagt er und sieht sie durch. »Tonnenweise. Zwanzig, dreißig, alle für Sachen, die sie in den letzten zwei Monaten zur Post gebracht hat. Und ein Geldversteck. Das sind sicher fünfhundert Pfund in bar.«
    »Wer muss so viele Päckchen zur Post bringen?«
    »Versandhandel.« Er verzieht das Gesicht. »Oder jemand, der sehr viele Geschenke nach Hause schickt.«
    »Verdammt.«
    Ich gehe hinüber und setze mich zu ihm. Jetzt bin ich fasziniert. Eine Feder tief in den Polstern der Matratze springt hoch. Ich verliere das Gleichgewicht und plumpse gegen ihn. »Du meine Güte, zu viel gegessen«, sage ich, ohne nachzudenken.
    Er schaut auf. Sein Gesicht ist nah, sein Arm streift meinen. Dann ein Geräusch. Schlüsselklimpern und das Knarren der Haustür, ein leises vibrierendes Dröhnen, als sie an die Wand schlägt, das widerhallende Rumsen, mit dem sie ins Schloss fällt. Eine vertraute Abfolge von Geräuschen. Jack und ich verharren schweigend. Ich spüre den Druck seines Arms. Schritte im Flur. Klappern. Eine Pause, und dann kommen langsame, schwere Schritte die Treppe herauf.
    Zu meinen Füßen ist ein Fleck im Teppich, wie Südamerika auf dem Kopf. Marta hat versucht, ihn rauszukriegen. Der glatte Flor des Teppichs wurde zu länglichen Schleifen gedreht wie bei einem Handtuch.
    Ich stehe auf. Der Boden knarrt.
    Nora, auf der anderen Seite der Tür, stößt einen leisen Schrei aus.
    »Tut mir leid, Nora«, sage ich. »Gott, ich wusste nicht, dass Sie heute kommen. Habe ich Sie erschreckt?«
    »Nein«, sagt sie und schüttelt den Kopf, obwohl sie eine Hand an die Brust geschlagen hat. Sie trägt ihre Pantoffeln aus Goldlamé und hält ein Tuch in der Hand. »Ich bin heute noch mal gekommen, weil ich am Donnerstag nicht putzen konnte.«
    »Das ist unglaublich nett von Ihnen.«
    »Tut mir leid«, sagt sie.
    »Nein. Nein, mir tut es leid.«
    Sie hält mir das Tuch hin, nur dass es sich entrollt. Es ist kein Tuch. Es ist der fehlende Gürtel meines Morgenmantels. »Den habe ich gefunden«, sagt sie. »Am Garderobenständer. Ich bringe ihn hoch, okay?«
    »Wie ist er denn da hingekommen?« Unbehagen angesichts all der Sachen, die an den seltsamsten Orten auftauchen. Ich verliere die Kontrolle über mein Leben. »Aber das ist toll. Sie sind toll. Vielen Dank.« Es käme mir nicht in den Sinn, Nora gegenüber irgendetwas anderes als dankbar zu sein, doch schon als mir die Worte über die Lippen kommen, frage ich mich, ob sie aufgezeichnet werden, dokumentiert. Hinter der Tür hört Jack Hayward alles mit.

    Am Abend, als das Haus an allen Enden und Ecken knarrt, lasse ich mir ein Bad mit Deep-Relax-Badeöl ein. Es funktioniert nicht immer. Ich liege lange darin und betrachte meine Beine, die unter Wasser zittern. Ich hebe die Hand und verharre so still wie möglich, um das Fallen der Tropfen zu hören. Die Sommersprossen auf meinem Arm heben sich dunkel ab gegen die Blässe meines Bauchs. Ich denke an Ania Dudek. Hatte sie meine Hautfarbe? War ihr Körper so weiß wie meiner?
    Philip hat mir eine Nachricht hinterlassen – »Was gibt’s Neues, mein Schatz?« –, doch ich habe ihn nicht zurückgerufen. Ich tauche den Kopf unter Wasser, sperre außer dem Gurgeln in den Leitungen alles aus. Durchs Fenster kann ich violette Wolken sehen, die über den von Straßenlaternen erhellten Himmel jagen. Blau, grau oder orange: Der Himmel über London ist niemals schwarz. Leichter Regen. Ein Hubschrauber schwirrt, kreist, das Dröhnen der Rotorblätter mal lauter, mal leiser. Ein Inhaftierter ist aus Wandsworth geflohen. Eine Drogenrazzia in Brixton. Eine al-Qaida-Zelle in Tooting. Es ist nirgends sicher.
    Nach dem Bad gehe ich durch sämtliche Räume des Hauses und öffne die Läden. Inzwischen regnet es richtig. Die Reporter haben sich, wie es scheint, zerstreut. Regen vertreibt die Journaille genauso wie die Randalierer. Jack ist durch die Haustür raus und hat sich kurz mit dem Mann am Gartentor unterhalten – Mickey vom Mirror , nehme ich an. Danach stiegen sie einer nach dem anderen in ihre Autos, schlugen die Türen zu, starteten die Motoren und fuhren davon. Ich müsste Erleichterung empfinden, doch das tue ich nicht. Sie waren

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