Ich bin unschuldig
wäre ich sicher. In Gedanken noch ganz in Robins Küche, verlasse ich das Haus, trete durch die Haustür, als wäre das Leben ganz normal. Als die Tür ins Schloss fällt, ist es schon zu spät. Vor dem Gartentor parkt ein silberner Mondeo, darin sitzt Perivale. Angst kriecht meine Wirbelsäule hoch, vom Becken bis zum Schädel, ganz langsam, Wirbel für Wirbel. Gestern Abend hat auf dem Platz mein Nachbar geparkt. Perivale muss gewartet haben, bis er weggefahren ist, oder er ist mehrmals um den Block gekurvt.
Er trägt seine schmutzige grüne Öljacke, und wenn er so ruhig dasitzt, ist sein Gesicht viel hängebackiger, als ich es in Erinnerung hatte. Auf dem Beifahrersitz liegt ein Berg Zeitungen, und in der Hand hält er einen Styroporbecher. Ich lächle mit hämmerndem Herzen. Er nickt knapp, richtet den Blick eilig auf die Zeitungen und verschüttet dabei ein wenig Kaffee, als wäre es ihm peinlich, dass ich ihn gesehen habe.
Ich laufe zu meinem Wagen, der um die Ecke geparkt ist, und setze mich einen Augenblick rein, bis mein Puls sich beruhigt hat. Ich rechne damit, dass er gleich ans Fenster klopft, doch das tut er nicht. Warum hat er mich nicht angesprochen? Worauf wartet er? Ich überlege, ob ich zurückgehen und an sein Fenster klopfen soll. Mir wäre lieber, ich wüsste, was er will, und könnte es hinter mich bringen. Ich stelle mir vor, wie ich schreie: »Da draußen läuft ein Mörder rum. Vergeuden Sie Ihre Zeit nicht damit, mich zu beobachten oder hier um den Block zu fahren!« Und dann denke ich: Warum sollte es mich interessieren, ich bin doch unschuldig? Allein bei dem Gedanken fühle ich mich gleich besser.
Der Himmel hat aufgeklart, es ist ein strahlend blauer Tag. Die Sonne scheint, aber die Luft ist so kalt wie das Meer nach einem Platzregen. Kinder auf Minirollern trudeln vorbei, kostspielige kleine Hunde an straff gespannten Leinen, gemütlich spazierende Eltern, die »Stopp!« rufen. Jeden Augenblick wird mich jemand sehen, wenn ich hier sitze wie eine Schneiderbüste, also stecke ich den Schlüssel ins Zündschloss und fahre los.
Zuerst fällt mir nichts auf. Ich fahre die Trinity Road runter, halte mich dicht am Mittelstreifen, als ein grüner Pfeil auftaucht. Wenn ich in dieser Spur bleibe, bin ich gezwungen, rechts abzubiegen. Ich blinke. Der Wagen hinter mir, ein kleiner roter Renault mit einem Mann mit kurzem Haar hinter dem Steuer, blinkt ebenfalls. Eine Hupe dröhnt. Wir wechseln beide die Spur. Der Renault fällt ein wenig zurück und bringt etwas Abstand zwischen uns.
Er ist immer noch da, zwei Autos entfernt, als ich links in die East Hill biege, und klebt mir förmlich an der Stoßstange, als ich mich unvermittelt auf die Busspur verziehe. Meine Hände umklammern das Lenkrad; ich wechsele mit wachsendem Zorn und Angst die Gänge. Ich fädele mich wieder in den Hauptverkehrsstrom ein und biege gleich rechts in die Tonsleys, eine Wohngegend, in deren Raster aus Einbahnstraßen sich Durchfahrt-verboten-Schilder und Sperren abwechseln, um zu verhindern, dass Pendler sie als Abkürzungen benutzen. Unvermittelt biege ich wahllos immer wieder rechts oder links ab. In mir ist eine Wildheit, eine Rage. Die Schaltung knirscht. Das Lenkrad ruckt unter meinen Händen, als führte es ein Eigenleben. Wer ist das? Perivale? Hat er den Wagen gewechselt? Ein Boulevardreporter, der mir heimlich auflauert?
Ich zwänge das Auto in eine Parklücke und warte mit laufendem Motor. Die Straße liegt still da. Ein Flugzeug fliegt vorüber. In der Ferne quietschen die Bremsen eines Busses. Ich suche die Straße noch einmal ab, setze wieder aus der Lücke, wende eiernd in drei Zügen und suche mir langsam den Weg aus den Tonsleys hinaus, während mein Blick noch hin und her schießt. Nichts. Ich biege rechts auf die East Hill und setze meine Fahrt fort. Ich fühle mich seltsam optimistisch. Action ist gut. Ich kann meine Gegner schlagen. Wenn ich so einen hartnäckigen Verfolger abschütteln kann, kann ich auch Perivale die Stirn bieten, für meinen Ruf kämpfen, mein Leben wieder an mich reißen.
An der U-Bahn-Station East Putney parke ich im absoluten Halteverbot. Keine Spur von Jack. Ich bin zu spät, aber das ist er dann auch. Es hat nicht den ganzen Vormittag geregnet, doch in den Rinnsteinen gurgelt es noch, und die gestreiften Markisen des Blumenladens hängen durch. Handschuhe wärmen die Finger der jungen Floristin; sie schlägt sie mit einem dumpfen Klatschen zusammen.
Hinter ihr ist ein
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