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Ich bin unschuldig

Ich bin unschuldig

Titel: Ich bin unschuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Durrant
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schlimmsten«, sagt er. »Voller Lügen.«
    Also gab es heute noch mehr Fotos von Schienbeinen mit blauen Flecken. »Ich habe sie mir gar nicht angeschaut«, sage ich. »Ich habe die Zeitungen unter das Sofa geschoben.«
    Er grinst. »Guter Trick.«
    Wir bleiben noch ein Weilchen sitzen. Jack sagt was von wegen Mittagessen.
    »Hatten Sie nicht vor zwei Stunden erst einen Hotdog?«
    »Nein … Woher …? Das war kein Hotdog. Das war ein Homity-Pie.«
    »Ein Homity-Pie! Und was soll das sein?«
    »Ich hatte Hunger«, erwidert er gekränkt. »Ich hab das Rauchen aufgegeben. Außerdem hatte ich kein Frühstück, und in der Nähe des U-Bahnhofs Brixton ist eine tolle Biobäckerei.«
    »Ein Wunder, dass Sie nicht kugelrund sind.«
    »Ich trainiere an den meisten Tagen morgens. Fühlen Sie mal.«
    Er hält mir einladend seinen Bizeps unter die Nase. Ich drücke ihn – jede Menge Muskeln – und wende sofort den Blick ab und richte ihn nervös über den trägen Fluss.
    Nach ein paar Minuten meint er: »Kurze Runde?«
    »Eine Runde oder einen richtigen Spaziergang?«
    »Lassen Sie uns mit einer Runde anfangen und schauen, wie weit wir kommen.«
    Die Flut ist zurückgegangen, seit wir gekommen sind – unter der Slipanlage liegt ein Bogen Strand frei. Unrat – Reifen, gesplittertes Holz, alte Plastiktüten, hier und da eine tote Ratte – säumt das Ufer. Eine Frau mit nackten gebräunten Armen rudert vorbei.
    »Tolek«, sagt Jack. »Wir müssen Tolek finden.«
    »Wenn Tolek doch nicht in Polen gewesen wäre. Wenn er im Land gewesen wäre, hätte sich Perivale vielleicht nicht so auf mich fixiert. Dann hätte er sich auf ihn einschießen können.«
    »Aber Polen ist als Alibi kaum zu schlagen, hieb- und stichfest.«
    »Was ist eigentlich ein ›hieb- und stichfestes‹ Alibi? Es ist so ein Klischee, dass die Leute gar nicht weiterschauen. Ich meine, er hätte doch bei jemandem im Kofferraum heimlich nach England einreisen und sich wieder rausschmuggeln lassen können. Oder? Und wer kein Alibi hat – wie ich, weder für die Nacht, in der Ania ums Leben kam, noch für den Kreditkartenbeleg –, ist doch damit nicht automatisch schuldig. Es bedeutet nur, dass ich zu wenige Freunde habe.« Ich lache, um zu zeigen, dass es mir nicht ganz ernst ist.
    »Irgendein Zeichen von Perivale in letzter Zeit?«, fragt Jack.
    »Heute war er wieder vor dem Haus. Ich wünschte, er wäre eindeutiger, würde es hinter sich bringen. Es ist, als wartete man darauf, ins Büro des Schulleiters gerufen zu werden.« Ich wende mich ihm zu. »Bin ich paranoid, wenn ich denke, dass er scharf darauf ist, mich dranzukriegen?«
    »Nein.« Wie um seine Worte zu bekräftigen, schiebt er die Hände energisch in die Taschen seiner Jeans. »Das glaube ich nicht. Sein Verhalten ist wirklich undurchschaubar.«
    »Ich bin die ganze Zeit unglaublich nervös. Heute Morgen hatte ich das Gefühl, verfolgt zu werden.«
    »Das bilden Sie sich sicher nur ein. In so einer Situation wäre jeder nervös.«
    »Wie ein Jucken an einem fehlenden Arm oder Bein. Wie dieses Kinderbuch, The Hairy Toe . Das kennen Sie doch sicher«, sage ich und spreche mit tiefer Gruselstimme weiter: »›Wer hat meinen haarigen Zeh?‹«
    »Nein, das kenne ich nicht.«
    Mit einem Mann, der keine Kinder hat, kann man nicht über Kinderbücher reden. »Kein besonders gutes Buch«, sage ich.
    Wir bleiben stehen und warten, bis eine Rudermannschaft an uns vorbeigezogen ist. Dann sehen wir zu, wie sie ihr Boot wie eine Trophäe – etwa einen toten Hai – schultern und in das Bootshaus tragen, bevor wir ein paar Minuten schweigend weitergehen. Wir kommen an einem Spielplatz vorbei: die Rufe und Schreie von Kindern, das ferne Aufprallen von Bällen.
    Was Millie wohl macht? Hoffentlich hat sie kein Heimweh. Sehnsucht überkommt mich.
    »Was ist mit Marta?«, fragt Jack. »Hat sie ein Alibi für die Zeit, als die Kreditkarte benutzt wurde?«
    »Ich weiß nicht. Ich kann mich nicht erinnern.«
    »Und Anias wachsender Wohlstand. Darüber wüsste ich gern mehr.«
    Wir sind an die Stelle gekommen, wo die Straße endet und der Treidelpfad beginnt. Ich beuge mich über die Brüstung, stütze das Kinn darauf und blicke in die wirbelnden Fluten der Themse. Ist das alles nicht doch sinnlos? Kann Christa uns wirklich etwas Nützliches sagen, selbst wenn wir sie erreichen? Hier riecht es nach tiefem, dunklem Modder. Vermutlich bleiben wir ein oder zwei Augenblicke hier stehen, denken über diese ganze tiefe,

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