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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
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Freundin?«, frage ich.
    »Eine von ihnen«, sagt Ben. »Die, mit der er am längsten zusammen war.«
    Sie ist hübsch, blond, das Haar kurz geschnitten. Sie erinnert mich an Claire. Auf dem Foto lacht Adam direkt in die Kamera, und sie blickt ihn halb an, das Gesicht eine Mischung aus Belustigung und Tadel. Sie haben etwas Verschwörerisches, als hätten sie mit der Person hinter der Kamera einen Witz gemacht. Sie sind glücklich. Der Gedanke macht mich froh. »Wie war ihr Name?«
    »Helen. Sie heißt Helen.«
    Ich zucke innerlich zusammen, als mir klar wird, dass ich in der Vergangenheitsform an sie gedacht habe, mir vorgestellt habe, sie wäre auch gestorben. Ein Gedanke regt sich; was, wenn sie stattdessen gestorben wäre, doch ich unterdrücke ihn, ehe er sich ausformen und Gestalt annehmen kann.
    »Waren sie noch zusammen, als er starb?«
    »Ja«, sagt er. »Sie hatten vor, sich zu verloben.«
    Sie sieht so jung aus, so hungrig, die Augen voller Möglichkeiten, voll von allem, was die Zukunft ihr noch zu bieten hat. Sie weiß noch nichts von dem unsäglichen Schmerz, der ihr bevorsteht.
    »Ich würde sie gern kennenlernen«, sage ich.
    Ben nimmt mir das Foto aus der Hand. Er seufzt.
    »Wir haben keinen Kontakt«, sagt er.
    »Warum?«, frage ich. Ich hatte es mir schon ausgemalt; wir würden uns gegenseitig stützen. Wir würden etwas teilen, ein Verständnis, eine Liebe, die jede durchdrang, wenn nicht füreinander, dann zumindest für das, was wir verloren haben.
    »Es gab Streit«, sagte er. »Auseinandersetzungen.«
    Ich blicke ihn an. Ich kann sehen, dass er es mir nicht erzählen will. Der Mann, der den Brief geschrieben hat, der Mann, der an mich glaubte und sich um mich kümmerte und der mich am Ende aus Liebe verließ und aus Liebe zu mir zurückkam, scheint verschwunden zu sein.
    »Ben?«
    »Es gab Streit«, sagt er wieder.
    »Bevor Adam starb oder danach?«
    »Sowohl als auch.«
    Die Illusion, füreinander eine Stütze zu sein, löst sich in nichts auf, wird ersetzt durch ein ungutes Gefühl. Was, wenn Adam und ich uns auch gestritten haben? Er hätte doch bestimmt zu seiner Freundin gehalten, gegen seine Mutter?
    »Waren Adam und ich uns nahe?«, frage ich.
    »O ja«, sagte Ben. »Bis du ins Krankenhaus musstest. Bis du dein Gedächtnis verloren hast. Selbst da wart ihr euch noch nahe. Soweit das noch möglich war.«
    Seine Worte treffen mich wie ein Schlag ins Gesicht. Mir wird klar, dass Adam noch ganz klein war, als er seine Mutter an die Amnesie verlor. Natürlich hatte ich die Verlobte meines Sohnes nicht kennengelernt; jeder Tag, an dem ich ihn sah, muss wie der erste gewesen sein.
    Ich schließe das Album.
    »Können wir es mitnehmen?«, frage ich. »Ich würde mir die Fotos später gern noch mal anschauen.«
    ***
    Wir trinken jeder eine Tasse Tee, den Ben in der Küche für uns gemacht hat, während ich zu Ende packte, und dann gehen wir zum Auto. Ich sehe nach, ob ich meine Handtasche dabeihabe, in der noch immer mein Tagebuch steckt. Ben hat in die Reisetasche, die ich für ihn vorbereitet habe, noch ein paar zusätzliche Sachen getan, und er nimmt außerdem die Ledertasche mit – die, mit der er heute Morgen zur Arbeit gegangen ist – sowie zwei Paar Wanderschuhe, die hinten im Kleiderschrank standen. Ich habe beim Wagen gewartet, während er das Gepäck im Kofferraum verstaute und anschließend noch kontrollierte, ob die Türen vom Haus abgeschlossen und die Fenster fest verriegelt sind. Jetzt frage ich ihn, wie lange die Fahrt wohl dauert.
    Er zuckt die Achseln. »Kommt auf den Verkehr an«, sagt er. »Nicht allzu lange, wenn wir erst aus London raus sind.«
    Eine als Antwort getarnte Weigerung, eine Antwort zu geben. Ich frage mich, ob er immer so ist. Ich frage mich, ob er durch all die Jahre, in denen er mir immer wieder das Gleiche erzählen musste, zermürbt ist, so gelangweilt, dass er sich nicht mehr aufraffen kann, mir überhaupt noch etwas zu erzählen.
    Er ist ein vorsichtiger Fahrer, wie ich feststelle. Er fährt langsam, schaut häufig in den Rückspiegel, bremst schon bei der kleinsten Andeutung einer Gefahrensituation.
    Ich frage mich, ob Adam einen Führerschein hatte. Ich vermute, dass das in der Army verlangt wurde, aber fuhr er auch Auto, wenn er Urlaub hatte? Hat er mich schon mal abgeholt, seine kranke Mutter, und mit mir einen Ausflug gemacht, irgendwohin, wo er dachte, dass es mir gefallen würde? Oder hat er keinen Sinn darin gesehen, weil jedes Vergnügen, das

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