Ich. Darf. Nicht. Schlafen.
durch die verregnete Scheibe hindurch kann ich ihn nicht lesen.
»Wir sind da«, sagt Ben, als wir in eine Seitenstraße biegen und vor einem Reihenhaus halten. Auf der Markise über dem Eingang steht:
Rialto Guest House
.
Eine Treppe führt zur Eingangstür, und ein dekorativer Zaun trennt das Gebäude von der Straße. Neben der Tür steht ein kleiner, gesprungener Kübel, der wahrscheinlich mal einen Zierstrauch enthielt, jetzt aber leer ist. Heftige Furcht packt mich.
»Waren wir schon mal hier?«, frage ich. Er schüttelt den Kopf. »Bist du sicher? Das kommt mir irgendwie bekannt vor.«
»Ich bin ganz sicher«, sagt er. »Könnte sein, dass wir mal in einem Hotel hier in der Nähe gewohnt haben. Vermutlich erinnerst du dich daran.«
Ich versuche, mich zu entspannen. Wir steigen aus dem Wagen. Neben dem Hotel ist eine Bar, und durch die Fenster kann ich Gedränge an der Theke und im hinteren Teil eine pulsierende Tanzfläche sehen. Dumpfe Musik, gedämpft durch die Scheiben. »Wir checken ein, und dann hol ich das Gepäck aus dem Wagen. Okay?«
Ich ziehe meinen Mantel enger um mich. Der Wind ist jetzt kalt, und es regnet in Strömen. Ich haste die Stufen hoch und öffne die Tür. An der Scheibe hängt ein Schild.
Belegt
. Ich gehe hinein.
»Du hast doch reserviert?«, frage ich, als Ben nachkommt. Wir stehen in einer Art Diele. Ein Stück weiter ist eine Tür angelehnt, und dahinter läuft ein Fernseher so laut, als sollte er die Musik von nebenan übertönen. Es gibt keine Rezeption, stattdessen steht auf einem kleinen Tisch eine Glocke, und ein Schild daneben verrät, dass man sie läuten soll, um auf sich aufmerksam zu machen.
»Ja, natürlich«, sagt Ben. »Keine Sorge.« Er läutet die Glocke.
Einen Moment lang passiert nichts, und dann kommt ein junger Mann aus einem Raum irgendwo hinten im Haus. Er ist groß und linkisch, und mir fällt auf, dass sein viel zu weites Hemd aus der Hose gerutscht ist. Er begrüßt uns, als hätte er uns erwartet, aber nicht herzlich, und ich stehe dabei, während er und Ben die Formalitäten erledigen.
Das Hotel hat eindeutig schon bessere Tage gesehen. Der Teppichboden ist stellenweise verschlissen, der Lack an den Türrahmen verschrammt und fleckig. Von der Diele geht eine weitere Tür ab, mit der Aufschrift
Speisesaal
, und weiter hinten sind noch einige Türen, hinter denen ich die Küche und die Privaträume der Inhaber vermute.
»Ich bring Sie dann jetzt auf Ihr Zimmer, ja?«, sagt der große Mann, als er und Ben fertig sind. Ich merke, dass er mich meint; Ben ist schon auf dem Weg nach draußen, wohl um das Gepäck zu holen.
»Ja«, sage ich. »Danke.«
Er reicht mir einen Schlüssel, und wir steigen die Treppe hoch. Im ersten Stock sind etliche Zimmer, doch wir gehen daran vorbei und eine weitere Treppe hoch. Das Haus scheint mit jedem Stockwerk zu schrumpfen, die Decken werden niedriger, die Flure enger. Wir kommen an einem weiteren Zimmer vorbei und bleiben vor einer letzten Treppe stehen, die ins Dachgeschoss des Hauses führen muss.
»Ihr Zimmer ist da oben«, sagt er. »Es ist das Einzige.«
Ich bedanke mich, dann dreht er sich um und verschwindet wieder nach unten, während ich zu unserem Zimmer hinaufgehe.
***
Ich öffne die Tür. Der Raum ist dunkel und größer, als ich so hoch unterm Dach erwartet habe. An der Wand gegenüber sehe ich ein Fenster, durch das gedämpftes graues Licht dringt, in dem ich schemenhaft eine Frisierkommode, ein Bett, einen Tisch und einen Sessel erkennen kann. Von der Musik aus dem Club nebenan ist nur noch ein dröhnender, dumpfer Bass zu vernehmen.
Ich bleibe reglos stehen. Wieder hat mich die Furcht gepackt. Die gleiche Furcht, die mich draußen vor dem Hotel überkam, aber irgendwie schlimmer. Mir wird eiskalt. Irgendetwas stimmt nicht, aber ich kann nicht sagen, was. Ich atme tief ein, kann aber nicht genug Luft in meine Lunge saugen. Ich fühle mich, als würde ich ertrinken.
Ich schließe die Augen, als hoffte ich, dass das Zimmer anders aussieht, wenn ich sie wieder öffne, aber natürlich bleibt alles, wie es ist. Ich habe entsetzliche Angst davor, was passieren wird, wenn ich das Licht einschalte, als müsste diese simple Handlung Unheil heraufbeschwören, das Ende von allem.
Was wird passieren, wenn ich den Raum so lasse, wie er ist, in Dunkelheit gehüllt, und stattdessen nach unten gehe? Ich könnte seelenruhig an dem großen Mann vorbeigehen, durch die Diele, vorbei an Ben, falls nötig, und nach
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