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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
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hatte. Sie hatte mich mit ihrer Klarheit erschreckt, ihren scharfen Konturen. Sie hatte mich gepackt, eingesogen, als würde ich sie erneut erleben. Ich spürte alles, schmeckte alles. Die kalte Luft und das prickelnde Bier. Das Gras, das mir tief in der Kehle brannte. Keiths Speichel warm auf meiner Zunge. Es fühlte sich real an, fast realer als das Leben, das mir vor Augen stand, als die Vision verschwand.
    Ich wusste nicht genau, von wann sie war. Aus meiner Zeit an der Uni, schätzte ich, oder kurz danach. Die Party, auf der ich mich gesehen hatte, war so eine, wie sie wohl Studenten feiern. Ich hatte keinerlei Gefühl von Verantwortung. Ich war sorglos. Unbeschwert.
    Und obwohl ich mich nicht an den Namen der Frau erinnern konnte, wusste ich, dass sie mir wichtig war. Meine beste Freundin.
Für immer
, hatte ich gedacht, und obgleich ich nicht wusste, wer sie war, hatte ich ein Gefühl von Geborgenheit bei ihr empfunden, Sicherheit.
    Ich fragte mich kurz, ob wir einander vielleicht noch immer nahestehen, und überlegte, mit Ben darüber zu reden, als wir nach Hause fuhren. Er war still – nicht mürrisch, aber in Gedanken. Einen Moment lang erwog ich, ihm von der Vision zu erzählen, doch stattdessen fragte ich ihn, mit wem ich denn so befreundet gewesen war, als wir uns kennenlernten.
    »Du hattest einen großen Freundeskreis«, sagte er. »Du warst sehr beliebt.«
    »Hatte ich eine beste Freundin? Jemand ganz Besonderes?«
    Er sah kurz zu mir rüber. »Nein«, sagte er. »Ich glaube nicht. Mir fällt jedenfalls niemand ein.«
    Ich fragte mich, wieso ich mich nicht an den Namen dieser Frau auf der Party erinnern konnte, aber noch die von Keith und Alan gewusst hatte.
    »Ganz sicher?«, fragte ich.
    »Ja«, sagte er. »Ganz sicher.« Er blickte wieder auf die Straße. Es regnete jetzt. Die Lichter der Geschäfte und Neonschilder über ihnen spiegelten sich auf dem Asphalt.
Ich möchte ihn so vieles fragen
, dachte ich, aber ich sagte nichts, und nach einigen Minuten war es zu spät. Wir waren zu Hause, und er hatte mit dem Kochen angefangen. Es war zu spät.
    ***
    Ich hatte gerade zu Ende geschrieben, als Ben mich nach unten zum Essen rief. Er hatte den Tisch gedeckt und schenkte uns Weißwein ein, aber ich war nicht hungrig, und der Fisch war zu trocken. Ich aß kaum etwas. Da Ben gekocht hatte, bot ich hinterher an, den Abwasch zu machen. Ich trug die Teller in die Küche und ließ heißes Wasser in die Spüle laufen, doch die ganze Zeit hoffte ich, dass ich später unter irgendeinem Vorwand nach oben verschwinden könnte, um mein Tagebuch zu lesen und vielleicht noch etwas zu schreiben. Aber es ging nicht – es hätte verdächtig gewirkt, wenn ich zu lange allein in unserem Schlafzimmer blieb –, und so verbrachten wir den Abend vor dem Fernseher.
    Ich konnte mich nicht entspannen. Ich dachte an mein Tagebuch und sah die Zeiger der Uhr auf dem Kaminsims im Schneckentempo von neun auf zehn auf halb elf kriechen. Endlich, als sie sich elf Uhr näherten, wurde mir klar, dass ich heute Abend keine Zeit mehr für mich haben würde, und sagte: »Ich glaube, ich geh schlafen. Es war ein langer Tag.«
    Ben lächelte, legte den Kopf schief. »Okay, Darling«, sagte er. »Ich komm auch gleich.«
    Ich nickte und sagte, okay, aber als ich aus dem Zimmer ging, beschlich mich Furcht.
Dieser Mann ist mein Ehemann
, sagte ich mir,
ich bin mit ihm verheiratet
, trotzdem hatte ich irgendwie das Gefühl, dass es falsch war, mich mit ihm in dasselbe Bett zu legen. Ich konnte mich nicht erinnern, das je getan zu haben, und ich wusste nicht, was mich erwartete.
    Im Bad ging ich auf die Toilette und putzte mir die Zähne, ohne einen Blick in den Spiegel oder auf die Fotos drum herum zu werfen. Ich ging ins Schlafzimmer, wo mein Nachthemd zusammengefaltet auf dem Kopfkissen lag, und begann, mich auszuziehen. Ich wollte fertig sein, bevor er hereinkam, wollte unter der Decke liegen. Einen Moment lang hatte ich die abstruse Idee, mich schlafend zu stellen.
    Ich zog den Pullover aus und betrachtete mich im Spiegel. Ich sah den cremefarbenen BH , den ich am Morgen angezogen hatte, und im selben Moment hatte ich eine flüchtige Vision von mir als Kind, wie ich meine Mutter fragte, warum sie so ein Ding trug und ich nicht, und wie sie mir erklärte, dass ich auch eines Tages einen BH tragen würde. Und jetzt war dieser Tag da, und er war nicht allmählich gekommen, sondern schlagartig. Da war der Beweis, noch offensichtlicher als

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