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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
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Hände fest ineinandergeschoben. Es wurde dunkel. Die Stadt war hell, die Gebäude erleuchtet. Es wird bald Winter, dachte ich. Bald haben wir den halben November hinter uns. Dann kommt der Dezember und dann Weihnachten. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich von hier nach dort kommen sollte. Ich konnte mir nicht vorstellen, eine endlose Abfolge identischer Tage zu durchleben.
    »Sollen wir gehen?«, sagte Ben. »Nach Hause?«
    Ich antwortete ihm nicht. »Wo war ich?«, fragte ich. »An dem Tag, als ich überfahren wurde. Was hatte ich gemacht?«
    »Du warst von der Arbeit auf dem Weg nach Hause«, sagte er.
    »Aber was war das für eine Arbeit? Was hab ich gemacht?«
    »Ach so«, sagte er. »Du hattest einen Job als Sekretärin, besser gesagt als Chefsekretärin, in einer Anwaltskanzlei.«
    »Aber warum –«, setzte ich an.
    »Du musstest arbeiten, damit wir den Kredit abzahlen konnten«, sagte er. »Wir waren ziemlich knapp, eine Zeitlang.«
    Aber das hatte ich nicht gemeint. Was ich sagen wollte, war:
Du hast gesagt, ich habe promoviert. Wieso hab ich mich mit so einem Job begnügt?
    »Aber warum hab ich als Sekretärin gearbeitet?«, fragte ich.
    »Das war der einzige Job, den du kriegen konntest. Es waren harte Zeiten.«
    Ich erinnerte mich an das Gefühl, das ich vorher gehabt hatte: »Habe ich geschrieben?«, fragte ich. »Bücher?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein.«
    Dann war der Wunsch also nicht von Dauer gewesen. Oder vielleicht hatte ich es versucht und war gescheitert. Als ich mich ihm zuwandte, um ihn das zu fragen, wurden die Wolken plötzlich hell, und einen Moment später ertönte ein lauter Knall. Erschrocken schaute ich hoch. Funken am fernen Himmel, die auf die Stadt niederregneten.
    »Was war das?«, fragte ich.
    »Ein Feuerwerkskörper«, sagte Ben. »Diese Woche war Bonfire-Night.«
    Einen Moment später erhellte eine weitere Rakete den Himmel, knallte es wieder laut.
    »Es gibt ein richtiges Feuerwerk«, sagte er. »Sollen wir es uns anschauen?«
    Ich nickte. Es konnte nichts schaden, und obwohl ein Teil von mir nach Hause zu meinem Tagebuch eilen wollte, um aufzuschreiben, was Ben mir erzählt hatte, wollte ein anderer Teil von mir bleiben, weil er hoffte, noch mehr zu erfahren. »Ja«, sagte ich. »Schauen wir’s uns an.«
    Er lächelte und legte einen Arm um meine Schultern. Der Himmel blieb einen Augenblick dunkel, und dann ertönten ein Krachen und Zischen und ein schrilles Pfeifen, als ein winziger Funke in die Höhe schoss. Einen langen Moment hing er in der Luft, ehe er mit einem schallenden Knall zu orangefarbener Pracht zerbarst. Es war wunderschön.
    »Wir gehen meistens zu einem Feuerwerk«, sagte Ben. »Einem von den großen offiziellen. Aber ich hab nicht mehr dran gedacht, dass heute Abend eins ist.« Er schmiegte sein Kinn an meinen Hals. »Ist das in Ordnung?«
    »Ja«, sagte ich. Ich blickte hinaus über die Stadt, auf die Farbexplosionen in der Luft darüber, auf die wirbelnden Lichter. Rauch stieg aus den Parks der Stadt, wild lodernd – rot und orange, blau und lila –, und die Nachtluft füllte sich mit Qualm, war durchdrungen von einem brenzligen Geruch, trocken und metallisch. Ich leckte mir die Lippen, schmeckte Schwefel, und auf einmal kam mir eine weitere Erinnerung.
    Sie war messerscharf. Die Geräusche waren zu laut, die Farben zu grell. Ich fühlte mich nicht wie eine Beobachterin, sondern als wäre ich noch immer mittendrin. Ich hatte den Eindruck, nach hinten zu fallen. Ich umklammerte Bens Hand.
    Ich sah mich selbst, mit einer Frau. Sie hat rotes Haar, und wir stehen auf einem Flachdach, schauen uns ein Feuerwerk an. Ich kann das rhythmische Pulsieren der Musik hören, die in dem Raum unter unseren Füßen läuft, und ein kalter Wind weht beißenden Rauch über uns hinweg. Obwohl ich nur ein dünnes Kleid trage, ist mir warm, ich glühe vom Alkohol und von dem Joint, den ich noch immer zwischen den Fingern halte. Ich spüre Kies unter den Füßen, und mir fällt ein, dass ich meine Schuhe abgestreift und sie unten im Zimmer der Frau neben mir zurückgelassen habe. Ich schaue zu ihr rüber, als sie den Kopf wendet und mich ansieht, und ich fühle mich lebendig, rauschhaft glücklich.
    »Chrissy«, sagt sie und nimmt den Joint. »Lust auf ein Ticket?«
    Ich weiß nicht, was sie meint, und sage das auch.
    Sie lacht. »Du weißt schon!«, sagt sie. »Ein Ticket. Einen Trip. Acid. Ich bin ziemlich sicher, dass Nige was mitgebracht hat. Er hat’s mir

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