Ich. Darf. Nicht. Schlafen.
»Ja.«
Ich war frustriert. Ungeduldig. »Und wie kann ich dann mehr abrufen?«
Er lehnte sich zurück und schaute in die Akte vor ihm. »Letzte Woche«, sagte er, »an dem Tag, als ich Ihnen das Tagebuch gab. Haben Sie da geschrieben, dass ich Ihnen ein Foto gezeigt habe? Ich hab es Ihnen mitgegeben, glaube ich.«
»Ja«, sagte ich. »Hab ich.«
»Nachdem Sie das Foto gesehen hatten, schienen Sie sich an weit mehr zu erinnern als davor, als ich Sie nach Ihrem Elternhaus fragte, ohne Ihnen ein Bild zu zeigen.« Er stockte. »Was wiederum nicht verwunderlich ist. Aber ich würde gern feststellen, was passiert, wenn ich Ihnen Fotos aus der Zeit zeige, an die Sie sich nicht erinnern. Ich möchte herausfinden, ob Ihnen dann irgendetwas wieder einfällt.«
Ich zögerte, wusste nicht, wohin dieser Weg führen würde, war aber sicher, dass mir nichts anderes übrigblieb, als ihn einzuschlagen.
»Okay«, sagte ich.
»Gut! Wir werden uns heute nur ein Bild ansehen.« Er nahm ein Foto hinten aus der Akte, kam dann um den Schreibtisch und setzte sich neben mich. »Ehe wir es anschauen, haben Sie irgendwelche Erinnerungen an Ihre Hochzeit?«
Ich wusste bereits, dass da nichts war. Für mich war meine Hochzeit mit dem Mann, neben dem ich am Morgen aufgewacht war, einfach nie passiert.
»Nein«, sagte ich. »Keine einzige.«
»Ganz sicher?«
Ich nickte. »Ja.«
Er legte das Foto vor mir auf den Schreibtisch. »Sie haben hier geheiratet«, sagte er und tippte darauf. Es war eine Kirche. Klein, mit niedrigem Dach und einem winzigen Türmchen. Völlig fremd.
»Fällt Ihnen irgendwas ein?«
Ich schloss die Augen und versuchte, an nichts zu denken. Eine Vision von Wasser. Meine Freundin. Ein gefliester Boden, schwarz-weiß. Sonst nichts.
»Nein. Ich erinnere mich nicht, sie je gesehen zu haben.«
Er wirkte enttäuscht. »Ganz sicher?«
Ich schloss erneut die Augen. Schwärze. Ich versuchte, an meinen Hochzeitstag zu denken, versuchte, mir Ben vorzustellen, mich, in Anzug und Hochzeitskleid, wie wir auf dem Gras vor der Kirche stehen, aber nichts kam. Keine Erinnerung. Traurigkeit stieg in mir auf. Wie jede Braut hatte ich meine Hochzeit bestimmt wochenlang geplant, hatte das Kleid ausgesucht und gespannt auf die Änderungen gewartet, hatte einen Friseur bestellt, mir Gedanken übers Make-up gemacht. Ich malte mir aus, wie ich an dem Menü feilte, die Musik auswählte, die Blumen, und dabei die ganze Zeit hoffte, dass der Tag meine hochgespannten Erwartungen erfüllen möge. Und jetzt werde ich nie wissen, ob sie erfüllt wurden. Alles ist mir weggenommen worden, jede Spur getilgt. Alles, außer dem Mann, den ich geheiratet habe.
»Nein« sagte ich. »Da ist nichts.«
Er legte das Foto weg. »Den Notizen zufolge, die zu Anfang Ihrer Behandlung gemacht wurden, haben Sie in Manchester geheiratet«, sagte er. »Die Kirche heißt St. Mark’s. Das war eine Fotografie jüngeren Datums – die einzige, die ich kriegen konnte –, aber ich vermute, sie sieht heute noch ganz so aus wie damals.«
»Von unserer Hochzeit gibt es keine Fotos«, sagte ich. Es war sowohl eine Frage als auch eine Feststellung.
»Nein. Die sind verbrannt. Bei einem Brand in Ihrem Haus, wie es scheint.«
Ich nickte. Das aus seinem Mund zu hören, verfestigte es irgendwie, ließ es realer wirken. Es war fast, als würde der Umstand, dass er Arzt war, seinen Worten eine Autorität verleihen, die Bens Worte nicht hatten.
»Wann habe ich geheiratet?«, fragte ich.
»Das muss Mitte der Achtziger gewesen sein.«
»Vor meinem Unfall …«, sagte ich.
Dr. Nash blickte beklommen. Ich fragte mich, ob ich je mit ihm über den Unfall gesprochen hatte, durch den ich das Gedächtnis verloren hatte.
»Sie wissen, wodurch Ihre Amnesie verursacht wurde?«, fragte er.
»Ja«, sagte ich. »Ich hab mit Ben gesprochen. Vor ein paar Tagen. Er hat mir alles erzählt. Ich hab es in mein Tagebuch geschrieben.«
Er nickte. »Welche Gefühle löst das bei Ihnen aus?«
»Ich weiß nicht«, sagte ich. Tatsächlich hatte ich keine Erinnerung an den Unfall, daher schien er mir nicht real. Nur seine Auswirkungen waren real für mich. Was er aus mir gemacht hatte. »Ich hab das Gefühl, dass ich die Person hassen müsste, die mir das angetan hat«, sagte ich. »Vor allem, weil sie nie gefasst wurde, nie dafür bestraft wurde, dass sie mich so liegen gelassen hat. Dass sie mein Leben zerstört hat. Aber seltsamerweise tue ich das nicht, nicht wirklich. Ich kann nicht.
Weitere Kostenlose Bücher