Ich. Darf. Nicht. Schlafen.
aufgeschrieben hatte. Ich merkte, dass ich ihm nicht glaubte. Ich musste mein Tagebuch von allein gefunden haben. Ich hatte ihn heute nicht hergebeten. Ich wollte nicht, dass er mit Ben sprach. Wieso sollte ich das wollen, wo ich doch selbst entschieden hatte, Ben noch nichts zu erzählen? Und wieso sollte ich ihn herbitten, um mir bei dem Telefonat mit Claire zu helfen, wenn ich sie bereits selbst angerufen und ihr eine Nachricht hinterlassen hatte?
Er lügt
. Ich überlegte, aus welchen Gründen er sonst gekommen sein mochte. Was er vielleicht glaubte, mir nicht sagen zu können.
Ich habe zwar keine Erinnerung, aber ich bin nicht blöd. »Warum sind Sie wirklich hier?«, fragte ich. Er rutschte unruhig hin und her. Vielleicht wollte er bloß mal sehen, wie ich wohne. Oder vielleicht wollte er mich noch einmal sehen, ehe ich mit Ben spreche. »Haben Sie Angst, Ben könnte was dagegen haben, dass wir uns weiter treffen, wenn ich ihm von uns erzähle?«
Ein weiterer Gedanke kam mir in den Sinn. Vielleicht schrieb er ja gar nicht an einer Forschungsarbeit. Vielleicht suchte er aus anderen Gründen den Kontakt zu mir. Ich verdrängte die Vorstellung wieder.
»Nein«, sagte er. »Das ist nicht der Grund. Ich bin gekommen, weil Sie mich darum gebeten haben. Außerdem haben Sie beschlossen, Ben nichts von unseren Treffen zu erzählen. Nicht, solange Sie nicht mit Claire gesprochen haben. Erinnern Sie sich?«
Ich schüttelte den Kopf. Ich erinnerte mich nicht. Ich wusste nicht, wovon er redete.
»Claire schläft mit meinem Mann«, sagte ich.
Er blickte schockiert. »Christine«, sagte er. »Ich –«
»Er behandelt mich, als wäre ich blöd«, sagte ich. »Er belügt mich nach Strich und Faden. Aber ich bin nicht blöd.«
»Das kann ich mir wirklich nicht vorstellen«, sagte er. »Wieso –?«
»Sie gehen seit Jahren miteinander ins Bett«, sagte ich. »Das erklärt alles. Warum er mir weismachen will, sie wäre ausgewandert. Warum ich keinen Kontakt mehr zu ihr habe, obwohl sie doch angeblich meine beste Freundin ist.«
»Christine«, sagte er. »Sie denken nicht klar.« Er kam zum Sofa und setzte sich neben mich. »Ben liebt Sie. Das weiß ich. Ich habe mit ihm gesprochen, als ich ihn überreden wollte, mich mit Ihnen arbeiten zu lassen. Er war absolut loyal. Absolut. Er hat mir erzählt, dass er Sie schon einmal verloren hat und Sie nicht noch mal verlieren will. Dass er gesehen hat, wie sehr Sie jedes Mal gelitten haben, wenn Leute versuchten, Sie zu behandeln, und dass er Ihnen das nicht noch einmal zumuten möchte. Er liebt Sie. Das ist offensichtlich. Er will Sie schützen. Vor der Wahrheit, vermute ich.«
Ich dachte daran, was ich heute Morgen gelesen hatte. Das mit der Scheidung. »Aber er hat mich verlassen. Um mit ihr zusammen zu sein.«
»Christine«, sagte er. »Überlegen Sie doch mal. Wenn das wahr wäre, wieso hätte er Sie dann zurückholen sollen? Zurück nach Hause? Er hätte Sie doch einfach im Waring House lassen können. Aber das hat er nicht. Er kümmert sich um Sie. Jeden Tag.«
Ich spürte, wie ich innerlich zusammenbrach. Ich hatte das Gefühl, seine Worte zu verstehen, aber gleichzeitig auch nicht. Ich spürte die Wärme, die sein Körper abstrahlte, sah die Güte in seinen Augen. Er sah mich an und lächelte. Er schien irgendwie größer zu werden, bis ich nur noch seinen Körper sehen konnte, nur noch seinen Atem hören. Er sprach, doch ich hörte nicht, was er sagte. Ich hörte nur ein Wort.
Liebe
.
Was ich dann tat, war nicht beabsichtigt. Nicht geplant. Es passierte unvermittelt, mein Leben bewegte sich wie ein festsitzender Deckel, der endlich nachgibt. Einen Moment später konnte ich nichts anderes fühlen als meine Lippen auf seinen, meine Arme um seinen Hals. Sein Haar war klamm. Ich wusste nicht, warum, und es war mir egal. Ich wollte sprechen, ihm sagen, was ich empfand, tat es aber nicht, weil ich dann hätte aufhören müssen, ihn zu küssen, den Augenblick beenden, den ich bis in alle Ewigkeit verlängern wollte. Ich fühlte mich wie eine Frau, endlich. Herrin der Lage. Obwohl ich es schon mal getan haben musste – darüber geschrieben hatte –, konnte ich mich nicht erinnern, je jemand anderen als meinen Mann geküsst zu haben; es hätte wirklich das erste Mal sein können.
Ich weiß nicht, wie lange es dauerte. Ich weiß nicht mal, wie es dazu kam, dass ich ihn auf einmal küsste, nachdem ich neben ihm auf dem Sofa gesessen hatte, zaghaft, so klein, dass ich
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