Ich. Darf. Nicht. Schlafen.
soll, oder, noch besser, ihn bitten, es für mich zu tun. Aber wie lange kann ich nur Besucherin in meinem eigenen Leben sein? Passiv? Ich muss die Führung übernehmen. Mir schießt der Gedanke durch den Kopf, dass ich Dr. Nash vielleicht nie wiedersehe – jetzt, wo ich ihm von meinen Gefühlen erzählt habe, von meiner
Schwärmerei
–, aber ich lasse nicht zu, dass er sich festsetzt. So oder so, ich muss selbst mit Claire sprechen.
Aber was soll ich sagen? Eigentlich gibt es so vieles, worüber wir reden könnten, und zugleich so wenig. So viel gemeinsame Vergangenheit, aber keine, von der ich weiß.
Ich denke daran, was Dr. Nash gesagt hat, über den möglichen Grund, warum Ben und ich uns getrennt haben.
Es könnte etwas mit Claire zu tun haben
.
Das würde erklären, warum mein Mann sich vor Jahren, als ich ihn am meisten brauchte, aber am wenigsten verstand, von mir scheiden ließ. Und warum er mir jetzt, wo wir wieder zusammen sind, erzählt, dass meine beste Freundin ans andere Ende der Welt gezogen ist, ehe das mit mir passierte.
Ist das der Grund, warum ich sie nicht anrufen kann? Weil ich Angst habe, sie könnte mehr vor mir zu verbergen haben, als ich mir auch nur ansatzweise vorstellen kann? Ist das der Grund, warum Ben offenbar nicht gerade wild darauf ist, dass ich mich an mehr erinnere? Ist das vielleicht sogar der Grund dafür, dass er mir einredet, eine weitere therapeutische Behandlung wäre Zeitverschwendung? Damit ich nicht irgendwann Erinnerungen mit Erinnerungen verknüpfe und dann weiß, was passiert ist?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass er zu so was fähig wäre. Niemand wäre das. Es ist einfach lächerlich. Ich denke daran, was Dr. Nash mir über meine Zeit in der Klinik erzählt hat.
Sie dachten, die Ärzte hätten sich gegen Sie verschworen
, hatte er gesagt.
Zeigten Symptome von Paranoia
.
Ich frage mich, ob ich das jetzt wieder tue.
Plötzlich stürzt eine Erinnerung auf mich ein. Sie trifft mich mit voller Wucht, steigt aus der Leere meiner Vergangenheit auf und schleudert mich zurück, um dann genauso schnell wieder zu verschwinden. Claire und ich, auf einer anderen Party. »Mann«, sagt sie. »Das ist echt nervig! Weißt du, was meiner Meinung nach nicht stimmt? Dass alle so verdammt sexbesessen sind. Dabei ist Sex doch bloß animalische Kopulation, oder? Egal, wie wir es drehen und wenden und zu was anderem hochstilisieren. Mehr ist es nicht.«
Ist es möglich, dass Claire und Ben Trost beieinander gesucht haben, während ich in meiner eigenen Hölle festsaß?
Ich blicke nach unten. Das Telefon liegt tot auf meinem Schoß. Ich habe keine Ahnung, wohin Ben eigentlich geht, wenn er jeden Morgen das Haus verlässt, oder wo er vielleicht nach der Arbeit einen Zwischenstopp einlegt. Das könnte überall sein. Und ich habe keine Möglichkeit, Verdachtsmomente miteinander zu verknüpfen, Fakten aneinanderzureihen. Selbst wenn ich Claire und Ben irgendwann zusammen im Bett erwischen würde, hätte ich schon am nächsten Tag vergessen, was ich gesehen habe. Ich bin das ideale Betrugsopfer. Vielleicht sind die beiden noch immer zusammen. Vielleicht habe ich sie ja schon mal erwischt und es vergessen.
Ich halte das für denkbar und zugleich irgendwie auch nicht. Ich vertraue Ben und zugleich auch nicht. Es ist durchaus möglich, gleichzeitig zwei gegensätzliche Standpunkte zu vertreten, zwischen ihnen hin und her zu schwanken.
Aber warum sollte er lügen?
Er glaubt einfach, das Richtige zu tun
, sage ich mir immerzu
. Er will dich beschützen. Dich nicht mit Dingen belasten, die du nicht wissen musst.
Natürlich wählte ich die Nummer. Es wäre unmöglich gewesen, das nicht zu tun. Es klingelte eine Weile am anderen Ende, dann ertönte ein Klicken, und eine Stimme sagte: »Hi. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht.«
Ich erkannte die Stimme sofort. Es war Claires. Eindeutig.
Ich sprach ihr eine Nachricht aufs Band,
Bitte ruf mich an
, sagte ich.
Ich bin’s, Christine.
Ich ging nach unten. Ich hatte alles getan, was ich tun konnte.
***
Ich wartete. Aus einer Stunde wurden zwei. Ich vertrieb mir die Zeit mit Tagebuchschreiben, und da Claire immer noch nicht anrief, machte ich mir ein Sandwich und aß es im Wohnzimmer. Als ich hinterher in der Küche die Arbeitsplatte abwischte und die Krümel, die ich auf meine Handfläche geschoben hatte, in die Spüle werfen wollte, klingelte es an der Haustür. Das Geräusch ließ mich zusammenschrecken. Ich legte den Wischlappen
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