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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
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glaubte zu verschwinden. Ich erinnere mich nicht, es darauf angelegt zu haben, was nicht heißt, dass ich mich nicht erinnere, es gewollt zu haben. Ich erinnere mich nicht, wie es anfing. Ich erinnere mich nur, dass ich von einem Zustand in einen anderen glitt, mit nichts dazwischen, ohne die Möglichkeit eines bewussten Gedankens, einer Entscheidung.
    Er stieß mich nicht grob weg. Er war sanft. Zumindest das gewährte er mir. Er beleidigte mich nicht, indem er fragte, was das sollte, oder gar, was mir denn einfiele. Er löste einfach zuerst die Lippen von meinen, dann meine Hände von seinen Schulten, auf denen sie irgendwie gelandet waren, und sagte leise: »Nicht.«
    Ich war fassungslos. Wegen dem, was ich getan hatte? Oder seiner Reaktion darauf? Ich kann es nicht sagen. Ich hatte nur das Gefühl, einen Moment lang irgendwo anders gewesen zu sein, als wäre eine neue Christine an meine Stelle getreten, hätte mich völlig verdrängt, um dann wieder zu verschwinden. Aber ich war nicht entsetzt. Nicht mal enttäuscht. Ich war froh. Froh, dass ihretwegen etwas passiert war.
    Er blickte mich an. »Es tut mir leid«, sagte er, und ich konnte ihm nicht ansehen, was er dachte. Verärgerung? Mitleid? Bedauern? Alles war möglich. Vielleicht war der Ausdruck, den ich sah, eine Mischung aus allen drei Empfindungen. Er hielt noch immer meine Hände fest, und er legte sie zurück auf meinen Schoß, ließ sie dann los. »Es tut mir leid, Christine«, sagte er wieder.
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Was ich tun sollte. Ich schwieg, wollte mich schon entschuldigen, doch dann sagte ich: »Ed. Ich liebe Sie.«
    Er schloss die Augen. »Christine«, begann er, »ich –«
    »Bitte«, sagte ich. »Nicht. Sagen Sie mir nicht, dass Sie nicht genauso empfinden.« Er runzelte die Stirn. »Sie wissen, dass Sie mich lieben.«
    »Christine«, sagte er. »Bitte, Sie sind … Sie sind …«
    »Was?«, sagte ich. »Verrückt?«
    »Nein. Durcheinander. Sie sind durcheinander.«
    Ich lachte. »Durcheinander?«
    »Ja«, sagte er. »Sie lieben mich nicht. Wissen Sie noch, dass wir über Konfabulation gesprochen haben? Das kommt häufig vor bei Leuten, die –«
    »Oh«, unterbrach ich ihn. »Ich weiß. Ich erinnere mich. Bei Leuten, die keine Erinnerung haben. Denken Sie, das ist hier der Fall?
    »Es ist möglich. Durchaus möglich.«
    Da hasste ich ihn. Er bildete sich ein, alles zu wissen, mich besser zu kennen als ich mich selbst. Dabei kannte im Grunde nur ich meine Krankheit.
    »Ich bin nicht blöd«, sagte ich.
    »Ich weiß. Das weiß ich, Christine. Das denke ich auch nicht. Ich denke nur –«
    »Sie müssen mich lieben.«
    Er seufzte. Jetzt enttäuschte ich ihn. Strapazierte seine Geduld.
    »Warum sind Sie denn sonst so oft hergekommen? Haben mich durch London kutschiert? Machen Sie das mit all Ihren Patienten?«
    »Ja«, erwiderte er, dann: »Also, nein. Nicht direkt.«
    »Warum dann?«
    »Ich versuche, Ihnen zu helfen«, sagte er.
    »Ist das alles?«
    Eine Pause, dann sagte er: »Nicht nur, nein. Ich schreibe auch an einer Arbeit. Einer wissenschaftlichen Arbeit –«
    »Sie studieren mich?«
    »Na ja, in gewisser Weise schon«, sagte er.
    Ich versuchte, das, was er da sagte, aus meinem Kopf zu verbannen. »Aber Sie haben mir nicht erzählt, dass Ben und ich getrennt waren«, sagte ich. »Warum? Warum haben Sie kein Wort davon gesagt?«
    »Weil ich es nicht wusste!«, sagte er. »Aus keinem anderen Grund. Es stand nicht in Ihrer Akte, und Ben hat es mir nicht erzählt. Ich wusste es nicht!« Ich schwieg. Er machte eine Bewegung, als wollte er wieder meine Hände nehmen, hielt dann inne, kratzte sich stattdessen an der Stirn. »Ich hätte es Ihnen erzählt. Wenn ich es gewusst hätte.«
    »Wirklich?«, sagte ich. »So wie Sie mir das von Adam erzählt haben?«
    Er blickte gekränkt. »Christine, bitte.«
    »Wieso haben Sie mir Adam verschwiegen?«, fragte ich. »Sie sind genauso mies wie Ben!«
    »Herrje, Christine«, sagte er. »Wir haben das alles schon mal besprochen. Ich habe getan, was ich für das Beste hielt. Ben hatte Ihnen nichts von Adam erzählt. Da konnte ich es Ihnen doch nicht erzählen. Das wäre ethisch nicht vertretbar gewesen.«
    Ich lachte. Ein hohles, schnaubendes Lachen. »Ethisch nicht vertretbar? Aber es vor mir zu verheimlichen, das können Sie ethisch vertreten?«
    »Die Entscheidung, Ihnen von Adam zu erzählen oder nicht, lag allein bei Ben. Nicht bei mir. Aber es war meine Entscheidung, Ihnen

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