Ich darf nicht vergessen
für Abend im schwindenden Licht? Natürlich über Politik, die neuesten Petitionen und Kundgebungen, an denen Amanda teilgenommen hatte und zu denen sie mich ständig mitschleppen wollte.
Erobert euch die Nacht zurück. Powerwalk gegen Brustkrebs. Laufen gegen Muskeldystrophie. Wir redeten über Bücherâ wir beide liebten die englische Literatur, kannten die Werke von Dickens und Trollope auswendigâ und über Reisen. Ãber die vielen Orte, die James und ich besucht hatten. Amanda war, obwohl sie es vorzog, zu Hause zu bleiben, was ich nie verstehen konnte, stets neugierig. Und Mark saà da und hörte zu.
An einem jener Abende ist etwas Wichtiges vorgefallen. James und ich waren gerade aus St. Petersburg zurückgekehrt, wo er eine erlesene Ikone gekauft hatte, eine Theotokos mit den drei Händen aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Sie war sündhaft teuer gewesen.
Ich hatte die Ikone in einer Galerie in der Galernaya-StraÃe gesehen und mich darin verliebt. James hatte sich widersetzt und widersetzt, und dann, an unserem letzten Tag, war er morgens verschwunden und eine halbe Stunde später mit einem in braunes Papier gewickelten Paket zurückgekommen, das er mir mit einer Mischung aus Belustigung und Unmut überreicht hatte.
Ich hielt das Paket während des ganzen Rückflugs auf dem SchoÃ, weil ich es nicht in meinen Koffer und auch nicht ins Gepäckfach über mir stopfen wollte. Jetzt packte ich das Kunstwerk vorsichtig aus, um es Amanda zu zeigen. Die kleine, vielleicht zwanzig Zentimeter hohe Ikone zeigte die Muttergottes mit dem Jesuskind auf dem rechten Arm. Die linke Hand hielt sie auf die Brust gedrückt, als wollte sie sich nicht von ihrer Freude überwältigen lassen.
Am unteren Rand der Ikone war eine dritte Hand abgebildet. Die abgehackte Hand des heiligen Johannes von Damaskus. Der Legende nach hatte die Jungfrau Maria die Hand wieder anwachsen lassen. Jetzt lag sie zu ihren FüÃen, um Zeugnis abzugeben von ihren heilenden Kräften.
Ein paar Minuten lang hielt Amanda die Ikone schweigend hoch, so konzentriert, wie wenn sie einem schwierigen Schüler etwas zu erklären versuchte oder wenn sie sich für eine Rede vor dem Schulausschuss vorbereitete. SchlieÃlich sagte sie: Sie gefällt mir. Ich habe deine Leidenschaft für religiöse Ikonographie nie verstanden, aber das hier ist etwas anderes. Dieses Bild berührt mich auf eine Weise, die ich dir nicht erklären kann.
Dann sagte sie: Ich möchte sie haben. Ihre Stimme klang sanft, aber fest. Schenkst du sie mir?
Mark, der sich auf den Verandastufen herumgelümmelt hatte, richtete sich auf. Ich starrte Amanda nur an. Lange herrschte Stille, bis auf der Fullerton Avenue eine Hupe ertönte und Mark und ich zusammenfuhren. Amanda zuckte mit keiner Wimper.
Nun?, sagte sie. Ich frage dich nicht, ob du sie mir verkaufst, denn ich weiÃ, dass ich sie mir nicht leisten kann. Deswegen glaube ich, du wirst sie mir schenken. Ja. Ich denke, das wirst du tun.
Ich stand auf, ging zu der Schaukel, auf der sie saÃ, und nahm ihr die Ikone aus den Händen. Ich musste mich anstrengen, denn sie hielt sie sehr fest.
Warum jetzt? Warum ausgerechnet die Ikone? Du hast mich noch nie um etwas gebeten. Noch nie.
Und du bist mir gegenüber immer so groÃzügig, sagte sie. Bringst mir von deinen Reisen Geschenke mit. Schöne Dinge. Die schönsten Dinge, die ich besitze, habe ich von dir. Ich hoffe, dass es dir nichts ausmacht, wenn ich dir sage, dass sie mir nichts bedeutet haben. Sie bedeuten mir nichts. Solche Dinge haben mich noch nie berührt. Aber das. Das ist etwas anderes.
Mark überraschte uns beide, als er sich räusperte und zu Wort meldete. Aber Mom liebt dieses Bild. Für sie ist es nicht einfach nur ein Reiseandenken. Er öffnete den Mund, als wollte er noch etwas hinzufügen, doch dann machte er ihn wieder zu und errötete.
Das weià ich, sagte Amanda. Und genau aus diesem Grund möchte ich es so gern haben. Es ist nicht der einzige Grund, aber der wichtigste.
Nein, sagte ich. Meine Stimme klang lauter und bestimmter als beabsichtigt. Die Ikone gehört mir. Du kannst alles andere von mir haben, das weiÃt du. Geld ist mir nie wichtig gewesen.
Nein, natürlich nicht, sagte sie mit einem warnenden Unterton. Mark verfolgte das Ganze sehr aufmerksam.
Nein, sagte ich noch einmal. Ich packte meine Ikone wieder in das braune
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