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Ich darf nicht vergessen

Ich darf nicht vergessen

Titel: Ich darf nicht vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice LaPlante
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keine. Es ist Sommer: Sie tragen T-Shirts, und die Geißblattranken an ihrem Haus stehen in voller Blüte.
    Hinter ihnen erkennt man Klappstühle, die Sorte, deren Sitzflächen und Lehnen aus billigen, bunten Plastikstreifen geflochten sind. Davor einen kleinen, ovalen Plastiktisch. Auf dem Tisch drei hohe, leere Gläser und eins, das mit einer blasenfreien, gelben Flüssigkeit gefüllt ist. In der unteren rechten Ecke des Fotos befindet sich etwas Verschwommenes– vielleicht die Hand des Fotografen, der die beiden bittet, sich ein bisschen dichter nebeneinanderzustellen.
    Die Sonne muss sich im Rücken des Fotografen (der Fotografin?) befinden, denn sein (ihr?) Schatten fällt auf Brust und Hals der Frau.
    Und plötzlich erinnere ich mich. Nein, ich spüre etwas. Die Hitze. Das Zirpen der Zikaden, die in dem Jahr überall waren– eine biblische Plage, sagten alle, und meist nur halb im Scherz. Sie knirschten unter den Füßen, zerplatzten auf unseren Windschutzscheiben und zwangen uns, während der heißesten Sommermonate im Haus zu bleiben.
    Peter und Amandas Haus hatte eine komplett mit Fliegengitter eingeschlossene Veranda, was es uns ermöglichte, an dem Tag draußen zu sitzen, der Klaustrophobie zu entkommen, dem Gefühl, eingesperrt zu sein. Wir warteten gerade auf James, der wie immer zu spät kam.
    Wir hatten unsere Biergläser ausgetrunken und überlegten, ob wir noch ein paar Flaschen aufmachen sollten, als Peter vorschlug, den Moment festzuhalten. Welchen Moment?, hatten Amanda und ich wie aus einem Mund ausgerufen und darüber lachen müssen.
    Peter ließ sich überhaupt nicht beirren. Typisch. Diesen Moment, der sich nie mehr wiederholen wird, sagte er. Diesen Moment, nach dem nichts wieder so sein wird wie vorher. Amanda verzog das Gesicht, ging aber trotzdem hinein, um die Kamera zu holen.
    Und was soll sich nach diesem Moment ändern?, fragte ich Peter, um ihn ein bisschen zu provozieren. Hast du uns etwas anzukündigen? Planst du eine Enthüllung? Das machte ihn verlegen.
    Nein, natürlich nicht, antwortete er. Ich habe nichts dergleichen vor. Er setzte sich anders hin, nahm sein Glas und hob es an die Lippen, obwohl es leer war.
    Ich glaube, ich bin einfach dankbar, sagte er schließlich.
    Das wundert mich aber an einem Tag, an dem es um sechs Uhr abends immer noch fast vierzig Grad heiß ist, entgegnete ich.
    Er lächelte nicht. Doch, dankbar ist das richtige Wort, sagte er. Ich bin dankbar für jeden Moment, an dem die Welt nicht untergeht. Er lachte. Das liegt an diesen verdammten Zikaden, sagte er. Die erinnern einen an den alttestamentarischen Zorn Gottes.
    Weißt du eigentlich, fuhr er fort, dass es bemerkenswerte Parallelen gibt zwischen dem Buch Exodus und einem alten ägyptischen Manuskript namens Die Mahnworte des Ipuwer ? Pestilenzen und Flutkatastrophen kommen darin vor, Flüsse, die sich rot färben, und so viele Heuschrecken, dass die Menschen tagelang die Gesichter ihrer Mitmenschen nicht erkennen konnten. Viele Doktoranden sind dankbar für diese Hinweise. Und obwohl ich noch keine Doktorarbeit gelesen habe, in der das Wort Heuschrecke vorkommt, werde ich auf ewig dankbar sein. Er beugte sich vor, plötzlich sehr ernst.
    Und du, Jennifer, fragte er, für was bist du dankbar?
    Verblüfft gab ich ihm eine kesse Antwort: Ach, das Übliche. Gesundheit und Glück. Dass es meinen Kindern gut geht. Dass James und ich mit Ende Fünfzig noch so produktiv sind, und dass ich dankbar wäre, wenn die nächsten Jahre nicht allzu langweilig würden.
    Er nahm meine Worte ernster, als ich sie gemeint hatte.
    Vielleicht. Ja. Das sind vernünftige Hoffnungen.
    Tja, ich bin eben eine vernünftige Frau. Aber, ehrlich gesagt, du machst mir Angst.
    Das wollte ich nicht. Aber ich bin mindestens zehn Jahre älter als du. Und deswegen weiß ich, dass die Worte vernünftig und Hoffnung nicht immer in ein und denselben Satz passen.
    Dann entstand ein Augenblick der Unruhe, es gab ein Geräusch, und Amanda kam mit der Kamera nach draußen. Sie bedeutete Peter und mir, wir sollten uns nebeneinander aufstellen. Nein, nein, sagte ich. Was Peter mir da erzählt, ist mir ein bisschen unheimlich. Ich möchte diesen speziellen Moment lieber nicht mit einem Foto verewigen, auf dem ich abgebildet bin. Gib her, lass mich mal machen.
    Und so machte ich das Foto– meine Sinneserinnerung ist so

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