Ich darf nicht vergessen
deutlich, dass ich das Klick-Klick der Kamera aus vordigitalen Zeiten noch im Ohr habeâ, und in dem Augenblick kam James mit Blumen und Wein und behielt seine Meinung über das, was wichtig war, für sich. Aber das wusste ich damals noch nicht.
E s ist ein Tag zum Kleider-vom-Leib-ReiÃen. Zum Mit-den-Zähnen-Knirschen und Spiegel-Verhängen. Amanda.
Ich schreie Magdalena an. Wie konnten Sie mir das vorenthalten? Ich mag vielleicht nicht mehr so flink wie früher sein, aber ich bin nicht gebrechlich! Ich habe meine Diagnose akzeptiert. Ich habe meinen Mann beerdigt. Ich bin absolut belastbar.
Wir haben es Ihnen gesagt. Oft.
Nein. Daran würde ich mich erinnern. Es wäre, als hätte man mir die Finger abgehackt. Als hätte man mir das Herz herausgerissen.
Sehen Sie in Ihrem Notizheft nach. Hier. Lesen Sie diesen Eintrag. Und diesen. Hier ist der Zeitungsartikel, in dem über Amandas Tod berichtet wird. Hier ist der Nachruf. Hier ist das, was Sie geschrieben haben, als Sie davon erfahren haben. Und wir waren zweimal auf dem Polizeirevier. Dreimal waren die Polizisten hier. Wir haben alles durchgesprochen. Sie haben getrauert. Und wieder getrauert. Wir sind in die Kirche gegangen. Haben den Rosenkranz gebetet.
Ich? Den Rosenkranz?
Na ja, ich habe den Rosenkranz gebetet. Sie haben nur dagesessen. Sie waren ruhig. Nicht klar, aber auch nicht erschüttert. Manchmal sind Sie so. Ruhig und demütig. Fast katatonisch. Ich gehe gern mit Ihnen in die Kirche, wenn das passiert. Magdalena schaut mich nicht an, als sie mir das sagt.
Ich habe die Theorie, dass es gut ist, wenn Sie in diesen Zustand geraten, sagt sie. Dass es die Momente sind, in denen Ihre Seele zugänglich ist, in denen die Möglichkeit der Heilung am gröÃten ist. Die widerhallende Stille, der süÃliche Geruch, das besänftigende, gefilterte Licht. Die Gegenwart des Allmächtigen. Aber an dem Tag war es anders. Sie sind aus Ihrem Dämmerzustand aufgewacht. Sie haben die Leute gesehen, die vor dem Beichtstuhl warteten. Sie haben sich in die Schlange eingereiht. Sie sind hinter den Vorhang getreten. Sie sind sehr lange dort in dem Beichtstuhl geblieben. Und als Sie wieder rauskamen, waren Ihre Wangen tränennass. Tränen! Stellen Sie sich das mal vor!
Das kann ich nicht. Aber fahren Sie fort.
Es stimmt. Ich schwöre es Ihnen. Sie haben mir den Rosenkranz abgenommen. Sie haben die Augen geschlossen. Haben die Perlen mit den Fingern befühlt. Die Lippen bewegt. Ich habe Sie gefragt: Was machen Sie da? Und Sie haben klar und deutlich geantwortet: Amanda. Meine BuÃe.
Das klingt alles wenig überzeugend. Ich weià doch gar nicht, wie man den Rosenkranz betet.
Also, das sah aber ganz so aus, als wüssten Sie, was Sie tun!
Ich denke darüber nach. Ich bin jetzt ruhiger. Ich denke an die schriftlichen Beweise. Ich akzeptiere, dass Magdalena mich nicht verraten hat. Es ist nur mein beschädigter Verstand. Aber das lindert den Schmerz nicht. Amanda, meine Freundin, meine Verbündete, meine würdigste Gegnerin. Was soll ich ohne dich tun?
Ich denke an das Jahr, in dem Mark die Highschool abgeschlossen hat. Er und James hatten sich zerstritten. Danach hatte sich Mark, sehr zu meiner Verwunderung, mir zugewandt. Und das, als ich gerade bereit war, ihn loszulassen. Damals fing es an, dass er so düster und gefährlich wirkte. Er hatte schon immer gut ausgesehenâ die Mädchen fingen an, ihn anzurufen, als er zwölf warâ, aber im letzten Highschooljahr hatte er sich in einen harten, jungen Mann verwandelt. Er war zu einer wandelnden Herausforderung für seine Mitmenschen geworden.
Deswegen erinnere ich mich an jenen Sommer, und weil Amanda damals ausnahmsweise mal nicht unterrichtete. Wir saÃen oft bis in die späten Stunden gemeinsam auf ihrer Veranda und genossen die Abendsonne. Fiona, für ihre zwölf Jahre erstaunlich reif, blieb lieber zu Hause, um zu lesen. In jenem Sommer las sie Jane Austen und Hermann Hesse. Aber Mark tauchte immer irgendwann im Laufe des Abends bei Amanda und mir auf. Manchmal war er auf dem Weg zu einem Freund und blieb nur ein paar Minuten, manchmal saà er stundenlang still da und hörte unserem Gespräch zu. Obwohl er noch nicht volljährig war, schenkte Amanda ihm dann ein Glas Bier ein, und er trank es durstig und schnell, als könnten wir es uns anders überlegen und es ihm wegnehmen.
Worüber redeten wir Abend
Weitere Kostenlose Bücher